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Was wir sind und was wir sein könnten

Was wir sind und was wir sein könnten

Titel: Was wir sind und was wir sein könnten
Autoren: Gerald Hüther
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durch Trennungen, Ausgrenzungen und gegenseitige Abwertungen definieren, ist die Wahrscheinlichkeit besonders hoch, dass auch die in diese unterschiedlichen, stark divergierenden Gemeinschaften hineinwachsenden Kinder und Jugendlichen ein Wir-Bewusstsein und ein Wir-Gefühl entwickeln, das sich in erster Linie durch die Abgrenzung von anderen Gruppen rekrutiert. Solchen Kindern und Jugendlichen fällt es dann meist ebenso schwer wie ihren Eltern, über den Tellerrand ihrer jeweiligen engen Gemeinschaften hinwegzuschauen, geschweige denn, sich mit diesen anderen verbunden und zugehörig zu fühlen.

Hinter’m Horizont geht’s weiter
    Wie stark auch die divergierenden Kräfte sein mögen, die eine Abtrennung und gegenseitige Ausgrenzung und Abwertung unterschiedlicher Gemeinschaften hervorbringen und aufrechterhalten, die angeborene Lust der Mitglieder dieser verschiedenartigen Gemeinschaften am eigenen Entdecken und Gestalten lässt sich niemals dauerhaft unterdrücken. Man kann Menschen, vor allem junge Menschen, nicht daran hindern, sich selbst in der Welt umzuschauen und sich ein eigenes Bild davon zu machen, wer diese jeweils anderen hinter den Gartenzäunen, in den anderen Dörfern und Städten und den anderen Ländern und Kontinenten sind.
    Es sind auch nicht nur die eigenen Kinder, die irgendwann alle Grenzzäune übersteigen und alle Gräben überspringen, die eine Gemeinschaft als Schutzschilder vor den anderen aufgebaut und ausgehoben hat. Es sind auch immer wieder einzelne Erwachsene, die sich auf den Weg machen und zu Musterbrechern und Grenzüberschreitern werden. Das sind vor allem diejenigen, die dem innerhalb einer Gemeinschaft herrschenden Anpassungsdruck entkommen, z.B. weil sie sich Freiräume geschaffen haben, in denen die Angst nicht mehr regiert, oder weil sie so viel eigene Kraft entwickelt haben, dass es ihnen gelingt, sich der Sogwirkung der in ihren jeweiligen Gemeinschaften aufrechterhaltenen Feind- und Selbstbilder zu entziehen.
    Vor allem all jene Mitglieder dieser Gemeinschaften, die in besonderem Maß auf den Austausch mit Menschen aus anderen Gemeinschaften angewiesen sind, werden dann zu Vorreitern dieser Ausbruchs- und Öffnungsversuche. Vorneweg vielleicht die Künstler oder auch die Abenteurer und Entdecker, und nicht zuletzt – mit einer nicht aufzuhaltenden und alle Grenzen überschreitenden, Grenzen überwindenden und zersetzenden Entdeckungs- und Gestaltungslust – die Kaufleute und Händler. Heute sind das unsere global operierenden Unternehmer.
    Und wenn diese beiden Kräfte zusammenfinden, also einerseits die jungen Leute mit ihrer angeborenen Entdeckerfreude und Gestaltungslust und andererseits die Entwickler, Hersteller und Vertreiber von Produkten, die für Menschen aller Herren Länder, aller Hautfarben und aller Kulturen besonders attraktiv sind, dann ist genau das nicht mehr aufzuhalten, was wir gegenwärtig erleben: die Auflösung aller bisher zum Zweck der Abgrenzung von den jeweils anderen Menschen innerhalb einer Gemeinschaft geschaffenen Strukturen. Dazu zählen nicht nur die Grenzzäune und Zollbeamten, sondern auch die zu eng gewordenen nationalen Verwaltungs-, Verteidigungs- und Lenkungssysteme. Bedeutungslos, und damit nicht länger gestärkt, sondern dem Zerfall preisgegeben, werden dann aber auch alle Überlieferungen und Rituale, alle Erziehungs- und Bildungsstile, also alle kulturellen und sozialen Konstrukte, die bisher dazu gedient hatten, die eigene Gemeinschaft von äußeren Einflüssen abzuschirmen und sie gegenüber anderen Gemeinschaften abzugrenzen. Genau das erleben wir gegenwärtig überall auf der Welt. Die bisher in Form von Familien, Vereinen, Parteien und Nationen entstandenen Gemeinschaften verlieren gegenwärtig in immer rasanterem Tempo das Korsett, das sie sich selbst über viele Generationen hinweg zum Schutz vor den anderen und zur Abgrenzung gegenüber anderen Gemeinschaften mit viel Eifer selbst gebaut und angelegt hatten.
    Da kommt natürlich einiges durcheinander. Nicht nur innerhalb einer jeden, bisher mit diesem Korsett zusammengehaltenen Gemeinschaft. Auch auf der Ebene der bisherigen Beziehungen zwischen den auf diese Weise durcheinandergeratenen und zerfallenden Gemeinschaften. Familien, Vereine, Parteien und Regierungen wissen nicht mehr so recht, was sie voneinander zu halten haben und was sie voneinander erwarten können. Die alten Vorstellungen und Überzeugungen davon, was ein Staat, ein Kulturkreis, eine Familie ist
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