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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Autoren: Dieter Moor
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kaum Arbeit.» Er setzt sich
     in Richtung Glatzen in Bewegung.
    «Aber wir haben doch gar nichts getan, wir stehen doch hier nur», kommt es von ganz rechts aus der Glatzengruppe. Fehler.
     Teddy ändert die Richtung sofort und geht frontal auf den Sprecher zu. Die Mittelglatze versucht, die Schwäche seines Kumpans
     auszugleichen: «Wenn ihr Ärger wollt, den könnt ihr gerne haben!» Seine Stimme ist zu laut, um cool zu wirken.
    Teddy ändert wieder die Richtung. Er baut sich direkt vor der Oberglatze auf und blickt auf ihn herab. «Ärger wollen wer eben
     grade nicht. Und darum wollen wir
euch
nicht. Geht das von alleene nicht rin in deine Birne?»
    «He, wir wollten doch nur friedlich ein Bier trinken, was tun wir denn, warum macht ihr uns hier so an?»
    «Bier ist alle», brummt Teddy und hält seine Flasche prüfend vors |288| Gesicht. «Och, da ist ja doch noch   …» Er setzt an, leert die Flasche in einem Zug, lässt sie mit spitzen Fingern vor dem Glatzengesicht hin- und herbaumeln.
     «Jetz is aber alle.»
    «Ihr seid ja vielleicht ein Dreckskaff hier! Nicht mal genug zu saufen! Das ist nichts für richtige Männer, Kameraden, wir
     gehen!»
    Gebrüllt, getan. Die fünf machen kehrt und marschieren geschlossen zu ihrem klapprigen, schwarzbepinselten Golf. Während sie
     sich in die Kiste quetschen, sehen sie gar nicht mehr imposant aus. Was der Fahrer mit einem quietschenden Kavaliersstart
     wettzumachen versucht. Weg sind sie. Wir überlassen sie gerne ihrem Schicksal und den vielen schönen starken Bäumen an den
     Straßenrändern Brandenburgs   …
    «Jetzt ein Bier, wa?», sagt Teddy. Wir machen kehrt, und da stehen sie: Schwester Alma samt ihren beiden Freundinnen und Sonja.
     Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie uns gefolgt waren.
    Zurück am Tisch, frage ich: «Und wenn die mir die Fresse poliert hätten, ernsthaft, Sonja, was hättest du dann gemacht?»
    «Das hätten die nicht überlebt», sagt Sonja. Mir scheint, sie meint das todernst.

|289| Kümmerlinge
    «War da was, da drüben?», fragt Helena, die sich neben ihre Mutter gesetzt hat.
    «Ach, du weißt ja, die Teddy-Brüder.» Schwester Alma grinst zu den vier Männern rüber. «Man kanns ihnen einfach nicht abgewöhnen:
     Immer müssen sie diese armen jungen Leute aus Wickelitz ärgern, die es doch schon schwer genug haben mit ihrem Haarausfall.
     Und die Buben wollten ja nur ein Bier trinken mit uns, was, Teddy? Ganz friedlich.»
    «Det trinken wir auch ohne die aus, Schwester Alma, wa?», lacht Teddy.
    «Na, darauf will ich mal einen ausgeben», verkündet Helena. «Wer will keinen Kümmerling? Keine Gegenstimme, geht klar.»
    Sie kommt nicht etwa mit einem Schnäpschen für jeden zurück. Sondern mit zwei Kleingebinden: je 25   Stück, säuberlich in Reih und Glied in einen Plastikboden gesteckt. Sie platziert die fünfzig Fläschchen auf dem Tisch und
     zupft sich eines raus. «Haut rein!» Alle bedienen sich. Da kann ich schlecht nicht mitmachen. Kleiner Schweizer hin oder her.
     Die Deckelchen werden abgeschraubt, mit |290| den Fläschchenböden wird auf den Tisch geklopft, prost, zum Wohl, haut rin, wohl bekomm’s, die Köpfe fliegen in die Nacken,
     die Fläschchen schweben Hals nach unten über den Köpfen, entleeren sich in die Münder. Die Köpfe kommen wieder in die Waagerechte.
     O Graus, das schmeckt wie Medizin. Bitterböse Sache, das.
    «Und noch einen zum Nachspülen», kommandiert Helena, und über die Wiese: «Jungs, kommt ran, hier gibt’s was zum Aufwärmen!»
     Von allen Seiten gesellt sich Amerikas Feuerwehr dazu. Noch einmal das Kümmerling-Ritual. Der Zweite ist nicht mehr ganz so
     grauslich. Schmeckt zwar noch immer nach Medizin, aber jetzt eher nach einer, die guttut, irgendwie.
    Ein angenehm entspanntes Gefühl durchströmt mich. Das Zeug wirkt schnell. Ich spähe schräg über den Tisch zu Sonja – wie verkraftet
     sie die Droge? – und sehe ihr offenes, lachendes Gesicht, ihre Augen leuchten. Wie sie da sitzt, mitten unter den Amerikanern,
     zwischen den Teddy-Brüdern und den Freundinnen von Schwester Alma, Krüpki und Lotte gegenüber, man wäre nicht auf die Idee
     gekommen, sie sei eine Zugezogene. Und ich merke, es sind nicht die Schnäpschen, die das schöne Gefühl machen. Es ist das
     Ganze. Das Hiersitzen, mit diesen Amerikanern. Die Selbstverständlichkeit dieses Abends. Das Dazugehören. Das Nichts-darstellen-Müssen,
     keinen Erwartungen entsprechen müssen, einfach nur da sein dürfen.
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