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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Autoren: Dieter Moor
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Wenn nicht: Niedergang. Aber das hier ist kein Theaterstück, hier geht es
     um mein Leben. Bis jetzt habe ich mich ja immer irgendwie durchgeschlagen. Nach dem Bach-Prinzip: Der Bach sucht sich immer
     den Weg des geringsten |11| Widerstandes und bringt sein Wasser, zwar über Umwege, aber dennoch ins Meer. Das funktionierte als junger, alleinstehender
     Mensch sehr gut: Wenn es wo nicht passt: weg, next, fertig.
    Das war die Zeit, in der ich noch drauf geachtet hatte, nicht mehr irdische Güter mein Eigen zu nennen, als in einen V W-Bus passen. Also etwa die Menge, die jetzt in meinem Anhänger verstaut ist. Aber da ist noch ein ganzer Bauernhof in der Schweiz,
     voller Möbel, Klamotten, Bücher, Schallplatten, Teppiche, Geschirr, Tonnen von Geschäftspapier, dem Restmüll unserer aufgelösten
     T V-Produktionsfirma , der von Gesetzes wegen aufgehoben werden
muss
. Da steht noch eine riesige Scheune voll mit landwirtschaftlichem Gerät, Maschinen, Werkzeug, Zaunmaterial, Pferdekram und
     einem Heuwender, Zweitakt, Baujahr 59.   Dieser ganze Riesenberg von Dingen und Sachen und Undingen und Unsachgemäßem, das zwei Menschen im «besten Alter» früher irgendwann
     einmal ganz furchtbar dringend gebraucht und deshalb angeschafft hatten und die wir jetzt am Hals haben.
    Das will alles noch verladen und hierhergebracht werden. Und wenn dieses «hierher» sich als Riesenfehler entpuppt? Dann steh
     ich da mit 30   Tonnen Besitztum. Was tut ein Obdachloser mit 30   Tonnen Schweizer Zivilisation? Hat doch unter keiner Brücke Platz   …
    Ganz abgesehen davon erwarten zwei große Hunde und vier Katzen einfach von mir, irgendwo zu Hause sein zu können. Und die
     vier Esel, das Pferd, die Enten, die in einer Stunde per Spezialtransport unter tierärztlicher Aufsicht im neuen Zuhause eintreffen?
     Die stehn dann da. Die kann man ja auch nicht einfach am Halfter nehmen und sagen: «Na, schaun wir mal, ob es nicht doch in
     der Toscana schöner ist.»
    Kurz: Meine Sonja und ich haben es hier auszuhalten, auch wenn sich herausstellen sollte, dass es nicht zum Aushalten ist   … |12| Wobei Sonja wenigstens über den kleinen psychologischen Vorteil verfügt, dass sie, im Gegensatz zu mir, den Hof in Amerika
     schon kennt. Sie hat ihn gefunden, sie hat entschieden: Hier ist gut sein.
    Nie werde ich ihren Anruf vergessen, der mich auf dem alten Hof in der Schweiz erreichte. Sie lebte bereits in einer kleinen
     Wohnung in Berlin, ich hütete Hof und Tiere in der Schweiz, so gut es eben ging, neben meiner Arbeit für das Schweizer Fernsehen.
     Sonja hatte seit fast einem Jahr neben ihrem Berliner Job als Filmproduzentin jede freie Stunde genutzt, einen Hof zu finden,
     der passen könnte. «Passen» bedeutete:
    1.   Wir müssen ihn uns leisten können. Heißt, die vielen leerstehenden adeligen Gutshäuser: fallen weg.
    2.   Das dazugehörige Land muss arrondiert sein. Nicht dort ein Fleckchen und hier ein Stückchen, sondern klassisch ein Haus mit
     Land drum rum. Heißt, die Hunderte leerstehender sogenannter Resthöfe: fallen weg.
    3.   Maximal eine Stunde Fahrzeit in die Berliner City. Heißt, die Zehntausende leerstehender Gehöfte in der Uckermark, der Lausitz
     oder dem Oderbruch: fallen weg.
    «Mein lieber Maaaaaan», scholl es aus dem Telefonhörer. «Ich sitze grade in einem kleinen Dorf namens Amerika beim Dorfwirt
     im Gastgarten. Es is narrisch!» . (Meine Frau ist Österreicherin.)
    «Es gibt wirklich ein Dorf, das Amerika heißt?», fragte ich. Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, ich wäre gar nicht der
     Sohn meiner Eltern, sondern das durch einen schrecklichen Zufall vertauschte Kind reicher Amerikaner, die aussehen wie «Tammy» . («Das Mädchen vom Hausboot») und Little Joe («Bonanza»), und jeden Moment konnte es geschehen, dass die beiden vor unserer
     Tür stünden. Tammy würde mich glücklich an ihre spitze Brust drücken, und Joe würde mir einen echten kleinen Colt schenken, |13| und sie würden mich mitnehmen auf ihre Ranch in   … verdammt, jetzt würde dieser Traum vielleicht Wirklichkeit werden: eine Farm in Amerika. Ohne Tammy und Joe. Zum Glück.
    «Ja!», lachte Sonja. «Amerika, es heißt echt Amerika, es is so narrisch. Über mir das Blätterdach der alten Bäume, die Vögel
     zwitschern in den Büschen, die Abendsonne scheint mir ins Gesicht, und ich hab mir einen Hof angesehen.»
    Blitzschnell analysierte ich: Sonja ist gut drauf («lieber Maaaaan» nennt sie mich nur, wenn
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