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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Autoren: Dieter Moor
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nein, im Schneckentempo.
     Einer sehr alten Schnecke.
    Nach nur 45   Minuten habe ich es geschafft. Ich bin wieder bei der Brücke!

|25| Pauken und Trompeten
    Eine knappe Stunde und 45   Kilometer später der historische Moment: Wir brechen aus einem dunkeln Waldstück hervor, durchziehen eine schnurgerade Allee,
     rechts und links offenes, freies Feld, dann rollen wir majestätisch am Ortseinfahrtsschild «Amerika» vorbei. Im Sender «Nur
     für Erwachsene» spielen sie zwar nicht Wagners «Ritt der Walküren», aber immerhin «After Midnight» von J.   J.   Cale. Auch schön.
    Sonja hatte recht: ein gutes Dorf. Viel Atmosphäre. Kleine ehemalige Gehöfte, typische Brandenburger Häuser, Feldstein und
     Ziegel. Da: die Pfuhle! Das dort hinten, versteckt hinter den alten Kastanien, das muss die «Graue Gans» sein. Die Pfuhle
     glitzert in der Sonne. Ich mag tanzendes Licht auf Wasser. Jetzt müsste gleich der riesige bronzene Hengst   … da ist er schon. Langsam, langsam jetzt, immerhin ist dies ein historischer Augenblick! Dieser Moment will mit Würde und
     ganz bewusst erlebt sein.
    Der Hof müsste gegenüber dem reiterlosen Reiterstandbild liegen. Doch da ist er nicht. Da ist zwar ein Gebäude, aber das sieht
     nicht aus wie jener Hof, den ich von den Bildern kenne: ein stolzes, |26| ockerfarbenes Haus mit großen Sprossenfenstern, Blumen davor und einem breiten, offenen Tor in der Mauer zur Straße, das den
     Blick frei macht auf einen weiten Innenhof.
    Dieses Ding gegenüber dem Hengst hat eine Farbe, die mich an das erinnert, was bei unseren Hunden hinten rausgeflossen ist,
     als sie Darmgrippe hatten.
Kein
Fenster in der Wand. Nur unter dem Giebel eine kleine Luke. Und dann dieses Tor: zusammengeschweißte schwarze Vierkanteisen.
     Würde jeder Strafanstalt alle Ehre machen. Das kann es nicht sein! Oder doch? Kann die menschliche Phantasie so derb neben
     der Realität liegen, trotz Fotos?
    Schleichend rolle ich vorbei. Erst mal gucken. Ah, da sind ja doch Fenster zur Straße hin. Genauer: leere Löcher. Da haben
     die Vorbesitzer «renoviert». Teure, schreckliche, dreifach verglaste Unfenster. Diese einflügeligen Dinger, die das halbe
     Zimmer versperren, wenn man mal auf die Idee kommt, sie zu öffnen. Ein Haus mit ausgestochenen Augen. Ich liebe es.
    Nachdem ich das Dörfchen durchquert habe, erlange ich bittere Gewissheit: Es kann nur das Kranke-Hunde-Kackfarbene sein. Und:
     Wir haben das hässlichste Haus Amerikas gekauft. Jetzt musst du tapfer sein, Dieter, lass dir nichts anmerken. Du bist selber
     schuld. Sag deiner Sonja einfach, dass du dich auf den ersten Blick in das Haus verliebt hast und dass es großartig ist, deine
     kühnsten Träume übertrifft. Du fährst jetzt auf diesen Hof hinter dem Gefängnistor, bringst die Katzen ins Haus, damit sie
     sich schnell an ihr neues Heim gewöhnen und übermorgen den Garten erobern können, dann gehen wir erst mal in die «Graue Gans»,
     nehmen einen schönen Vesperteller mit Strippen und warten auf den Tiertransport mit dem Pferd, den Eseln und Enten.
    Ich wende und nähere mich von der anderen Seite wieder dem Bronzehengst. Im Radio kommentieren die beiden fröhlichen |27| Moderatoren gerade sehr lustig den neuen Arbeitslosenrekord in Brandenburg. Ich mach das Ding tot.
    Aha, Sonja hat mich bemerkt, da steht sie schon am Tor. Nee, das ist nicht Sonja, die Dame kenne ich nicht. Hoffnung keimt:
     Es ist doch das falsche Haus! Die Frau öffnet das Tor und bedeutet mir mit sparsamer Geste des Zeigfingers, ich solle durchfahren.
     Na gut, Befehl ist Befehl. Der Hof ist vollgerammelt mit Umzugskisten, Möbeln, Baugerät. Ein Kleinwagen mit winzigem Hängerchen
     steht wichtig rum. Fremde Pferde vor dem Stall.
    Mir wird dunkel vor den Augen. Die Vorbesitzer sind noch gar nicht ausgezogen, entgegen der Abmachung! Kein Platz also für
     unsere Habseligkeiten, für die Hunde und Katzen, kein Zuhause für Sonja, kein Stall für die Esel und das Pferd, wenn gleich
     der Tiertransport eintrifft. Die schlimme Vision auf dem Weg hierher, das ist keine Vision gewesen, sondern eine Vorahnung,
     die sich nun brutal materialisiert! Das schöne Frühsommerwetter verwandelt sich in graue Nacht, meine Augen schalten von Technicolor
     auf Schwarzweiß. Erstaunlich, wie sich die Verzweiflung der Seele unmittelbar auf die Wahrnehmung auswirkt.
    Da ertönt ein gellendes «Ditaaaaa!». Sonjas Stresston. Von der Weide sehe ich sie heranlaufen, sie deutet nach oben.
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