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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Autoren: Dieter Moor
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deine Sonja hat sogar jeflennt deswegen!» Krachend landet seine Pranke auf meiner Schulter. «Ich dachte,
     mich laust der Affe, da kullern der Frau glatt Tränen aus die Augen von wegen der Schönheit hier. Aber die ist schon in Ordnung,
     deine Sonja. Und ich will dir auch verraten, warum: weil se recht hat. Hundert Prozent recht hat se!»
    Er hebt die Flasche: «Sonja! Auf dich, meine Kleene!»
    Sonja, aus ihrem Gespräch mit den Frauen herausgerissen, prostet Teddy zu: «Auf Amerika!»
    «Auf Amerika», rufen die Frauen.
    «Auf Amerika und uns», erwidert Teddy.
    «Auf das Leben in Amerika», krähe ich.
    «Auf das Leben», ruft Sonja.
    «Auf das Leben», grölen wir alle.
    «Nu is aber mal jut, nu trinken wir doch endlich», sagt Teddy und setzt an. Wir alle synchron mit ihm. Synchron setzen wir
     ab, |283| synchron klacken die Flaschenböden auf das Tischholz. Kladderadatsch.
    Sechsstimmiges Seufz-Stöhnen: «Aaaaa!»
     
    «Teddy, findest du das gut, dass die jetzt hier bei uns sind?»
    Teddy dreht sich nach der Stimme in seinem Rücken um. Seine Brüder stehen hinter ihm. Hände in den Taschen. Drei fleischgewordene
     Hinkelsteine.
    «Wat meinste denn, Renato, was soll ich gut finden, dass wer sein tut?»
    «Na, unsere Gäste von auswärts», sagt Renato, und mein Puls beschleunigt sich. Der kleine Schweizer in heller Panik: «Siehst
     du, jetzt passiert’s, hä, jetzt werden sie euch aber zeigen, wie man hier mit Fremden umspringt, jetzt kriegst du die richtige
     Gastfreundschaft zu spüren, hä, jetzt zeigen sie ihre wahre hässliche Fratze, diese Preußen, jetzt heißt es Rückzug, ab ins
     Reduit, hä, sofort! Renn, solange du noch gehen kannst!»
    «Von auswärts? Wo?», fragt Teddy. Legt beide Pranken auf das Tischblatt, stemmt seinen Körper hoch, kommt in Augenhöhe mit
     den dreien, wird zum vierten Hinkelstein.
    «Na, da drüben.» Silvio deutet mit dem Kinn zum Rand der Festwiese auf eine Gruppe von fünf jungen Männern. Ein Fels fällt
     mir vom Herzen: Die meinen ja gar nicht Sonja und mich. Ich mache den kleinen Schweizer in mir zur Schnecke wegen seines Misstrauens.
     «Das hier ist Amerika!», brülle ich ihn lautlos an. «Nicht Untertupfingen-Hinterbühren, Schweiz, verdammt nochmal, jetzt mach
     hier nicht dauernd auf Panik, du kleiner Millimeterpapier-Kacker, Bünzli calvinistischer, ich werde dich   …»
    «…   bin schon weg», fiept der kleine Schweizer und ist schon weg.
    «Na, da staunt aber der Laie, und der Fachmann wundert sich», |284| brummt Teddy. «Die trauen sich echt her, unsere lieben Freunde aus Wickelitz? Wie kommen die denn nur auf so eine doofe Idee?»
     Er schüttelt sein Haupt wie ein gütiger Pfarrer, der seine Ministranten beim Messweinsaufen erwischt hat.
    Die fünf Fremden sind der wahrgewordene Albtraum des politisch korrekten Prenzlauer-Berg-Links-Wählers. Und genau darauf legen
     sie es auch an. Glattrasierte Schädel, polierte Springerstiefel mit weißen Schnürsenkeln, Tarnfarbenhosen. Schlank, bodygebuildet.
     Sie stehen in lockerer Formation, Beine breit in die Wiese gerammt. So viel pure Männlichkeit braucht Platz im Schritt! Die
     Gesichter stumpf, sie müssen geübt haben zu Hause vor dem Spiegel. Dort hat das wohl cool ausgesehen, die leicht zusammengezogenen
     Augenbrauen, die etwas nach vorn gepressten Lippen, die gereckte Kinnlade, die eingesaugten Wangen. Nicht zu vergessen: der
     stahlharte Riefenstahl-Blick des teutschen Ariers. Oder so ähnlich. Lange eingeübt, das alles, und jetzt zur Anwendung gebracht.
     Es sieht lange nicht so imposant aus, wie die Herren hoffen, aber das Signal kommt klar rüber: Wir sind da, und wir wollen
     Stunk!
    Stunktiere.
    «Na, wenn wir die nicht hier haben wollen, dann sollten wir einfach mal hingehen und denen das sagen, wa?», schlägt Ingo,
     der Dachdecker, vor.
    Die vier Brüder setzen sich in Bewegung. Teddy dreht sich zu mir um. «Wat is, kommste?»
    Scheiße. Bis zum heutigen Tag hat es das Schicksal gut mit mir gemeint, was Schlägereien betrifft. Es hat sich einfach noch
     nie eine ergeben. Erstaunlicherweise. Ich hatte immer schon geahnt, dass der Moment irgendwann da sein würde, wo Handgreiflichkeiten
     unvermeidlich wären. Gehört vermutlich zum Leben dazu. Ich kenne keinen, der nicht wenigstens von einer kleinen Knufferei
     berichten kann. Aber in meiner Biographie: nichts, null. Bis jetzt.
    |285| Mein ganzer Erfahrungsschatz in Sachen beabsichtigter Körperverletzung beschränkt sich auf ein
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