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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
Autoren: Dieter Moor
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paar Schulbubenraufereien.
     Und das liegt zwei Generationen zurück. Eine sehr verblasste Erinnerung, nicht mehr. Es ist vollkommen ausgeschlossen, dass
     es mir gelingen kann, einem der fünf auch nur ein Haar zu krümmen, wenn er denn eins hätte. Und ebenso ausgeschlossen ist
     es, dass ich in der Lage bin, ihren Fäusten und Tritten auch nur ansatzweise auszuweichen. Um es schmerzhaft zusammenzufassen:
     Es ist so weit! Das erste Mal in meinem Leben werde ich fürchterlich, so richtig fachmännisch nach Strich und Faden verdroschen
     werden.
    Ich hasse Schmerz. Ich hasse Spitäler. Ich brauche ein intaktes Gesicht in meinem Job. Ich bin nicht mehr der Jüngste. Und
     ich habe Angst. Puren, reinen, nicht zu beschönigenden Schiss.
    «Äh, ich muss da mal eben   …», sage ich in Sonjas erstauntes Gesicht und trotte, bevor sie reagieren kann, hinter Teddy her.
    Wir gehen gemächlich. In meinem Kopf rasen die Gedanken. Was tun, was tun, was tun? Irgendeinen Tipp vom kleinen Schweizer
     vielleicht? Null. Funkstille. Der hat sich ohne mich in seinen Alpenbunker verkrümelt und das meterdicke Stahlbetontor hermetisch
     dichtgemacht. Eben noch habe ich groß gedröhnt von Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt und wie toll das alles sei. Und jetzt
     geht es genau darum, jetzt ist genau das einzulösen. Da sind die Idioten von der Rechtsfront, ganz eindeutig hundertprozentige,
     destillierte Arschlochzone. Sie sind da, und sie müssen weg. Jemand muss dafür sorgen. Jetzt und hier. Da gibt es nichts zu
     delegieren, nichts zu bedenken, nichts abzuwägen. Da ist nur eines gefordert: etwas tun.
    Wir stehen vor ihnen. Mein Puls rast, ich bin hellwach. Überdeutlich registriere ich, in zehntelsekundenkurzen Blitzen, jede
     Einzelheit, jede Regung der Glatzen: das nervöse Kiefermuskelzucken, die Pickelnarben an Hälsen und Stirnen, ein Runen-Tattoo |286| am Unterarm, der Geruch von alten Military-Klamotten, billigem Rasierwasser und Bierfahne. Ihre unterdrückte Nervosität, die
     gespannten Bauchmuskeln. Diese Dumpfbacken, diese pervertierten Männer-Karikaturen, diese Einzeller! Sie sollen weggehen,
     sich auflösen, verdampfen, was auch immer, ich will sie nicht. Wie kommen wir dazu, uns mit denen zu befassen, statt einfach
     unser Fest feiern zu können, was bilden die sich ein, wer sie sind, dass sie hier den Breiten markieren und Stress machen.
    Verwundert stelle ich fest: Mich packt die Wut, und es scheint gar nicht mehr so unmöglich, in diese Visagen zu hauen. Für
     den Anblick, wie die unerträgliche Selbstherrlichkeit in diesen Gesichtern von meiner Faust zum Verschwinden gebracht wird,
     dafür bin ich jetzt durchaus bereit, einiges einzustecken. Ich habe Lust, Schmerz zuzufügen. Richtigen Schmerz. Ich kenne
     mich selbst nicht wieder, ein völlig neues Gefühl.
    «’n Abend», sagt Ingo.
    «Hi», kommt es von den Glatzen. Oder ist das ein «Heil» gewesen?
    «Wat?», fragt Teddy.
    «Ich sagte Heil», macht die mittlere Glatze und tritt einen halben Schritt vor. «Was dagegen?»
    Die Teddy-Brüder blicken einander an.
    «Haben wir was dagegen?», fragt Renato in die Runde.
    «Jupp», antwortet Ingo, der Dachdecker.
    «Also?», fragt Renato ruhig.
    Silvio zuckt mit den Schultern: «Werden die Jungs jetzt wohl ’ne Fliege machen.»
    «Wir sind freie deutsche Bürger!», blafft die Glatze. «Wir stehen hier auf öffentlichem Grund, dies ist eine öffentliche Veranstaltung,
     wir bleiben!»
    «Irrtum!», macht Teddy. «Geschlossene Gesellschaft.»
    |287| «Da drüben auf dem Schild steht deutsch und deutlich
Feuerwehrfest
. Das ist öffentlich», triumphiert die Glatze.
    «Er kann lesen!», stellt Ingo trocken fest, und zur Glatze gewandt: «Das hast du richtig erkannt, da steht
Feuerwehrfest
, bravo. Und, seid ihr bei der Feuerwehr? Nein? Also: Abmarsch.»
    «Soll das etwa ’ne Drohung sein?» Die Glatze ballt die Fäuste.
    «Nur ein Ratschlag», erwidert Ingo.
    Da schrillt Krüpkis unverkennbares Organ quer über die Festwiese: «He, Teddy, Ingooo, Silviooo, Renatooo, wat is denn, wat
     fackelt ihr denn lang rum mit diesen bescheuerten Dünnbrettbohrern? Gebt denen eins auf die Nuss, wa, und gut ist, wir wollen
     weiterfeiern, Mensch!»
    «Teddy, welchen übernimmst du?», fragt Ingo.
    «Och», winkt Teddy ab, «ich denk, ich nehm gleich alle.»
    «Echt?», fragt Renato. «Ich würde wirklich sehr gerne helfen.»
    Teddy mustert die Glatzen in aller Ruhe. «Nö, lass mal, diese Pickelgesichter, das macht doch
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