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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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Städtern galt das Hafenviertel stets als anrüchig. An der Decke einer schrammeligen Hotelbar, gegenüber der Hafenzufahrt, klebte vor Kurzem noch das Blut einiger Russen. Die hatten sich dort eine wüste Prügelei geliefert, bevor sie wieder auf ihre Seelenverkäufer verschwanden. Jetzt wird in den Räumen Kunst ausgestellt. Denn Lyttelton ist längst schwer in Mode gekommen und seitdem alles, was Christchurch auch so gerne wäre: weltoffen. Jung. Avantgardistisch. Alternativ. International. Es hat einen eigenen Radiosender, ein Torpedobootmuseum, einen Wochenmarkt mit Live-Musik, Second-Hand-Läden und die höchste Pro-Kopf-Dichte an guten Kneipen außerhalb St. Paulis. Es besitzt einen roten Teppich, über den Königin Elisabeth geschritten ist, als sie in Lyttelton von Bord ging – wer hat so was schon? Auch Cafés gibt es viele in Lyttelton, das derangierte Szenecafé habe ich gleich ins Herz geschlossen. An der Espressomaschine wird herumgewirbelt, als sei es das Pult eines DJ s. Die Baristas sind die Superstars unter den Dienstleistern und verströmen das Flair ferner Metropolen. Sie sind hip und immer gut drauf.
    »Hi, Claude«, begrüße ich meine Lieblingsaufschäumerin, die eigentlich eine gebürtige Tracey ist. Anfangs hielt ich ihren Namen für ›Cloud‹. Wolke würde aber nicht zu den raspelkurzen, weißblond gefärbten Haaren, den hohen Wangenknochen und dem kühlen Blick passen. Blitz schon eher. Claude ist eine androgyne Schönheit, die auch auf Männer wirkt, aber nur auf Frauen steht. Ihr Spitzname hängt irgendwie mit Clau-ooo-dia Schiffer zusammen.
    Sie grüßt in holperigem Deutsch zurück, denn sie war gerade wieder einen Monat in München. Irgendeine Ausstellung. Claude fotografiert, wenn sie nicht Espresso zapft, und schreibt an ihrer Doktorarbeit über den Expressionismus.
    »Alles gut?« Sie kassiert und zwinkert mir dabei zu. »Wann kommst du dir meine neuen Bilder angucken?«
    Eine erstaunliche Frage, aber nicht wegen des Zwinkerns. In diesen Breitengraden geht man weder mit Arbeit noch Erfolg hausieren – es sei denn, man kommt zum Beispiel aus Amerika. Die adäquate Formulierung lautet: »Schau dir bloß nie meine Bilder an, sie sind wirklich ganz fürchterlich.« Das liegt am berüchtigten Tall-Poppy-Syndrom. Zu hoch aus dem Feld herausragende Mohnblüten, so die Metapher, werden sofort gekappt. Daher lieber ducken. Wie sich dieses erstaunliche Phänomen auf ein Kochduell im Fernsehen auswirkt, habe ich letztens beobachtet. Der beste Kandidat betonte stets, dass er in der nächsten Runde rausgeschmissen werden müsste, aber unbedingt. Er wusste genau, wie gut das ankommt, und schaffte es so an die Spitze. Für seinen Sieg entschuldigte er sich dann. Eine weltweit einmalige Sendung.
    Quer über Claudes Brust steht in weißen Druckbuchstaben DENKWÜRDIGKEITEN . Das T-Shirt hat sie vom Goethe-Institut, das ihr mal ein Reisestipendium durch Deutschland spendiert hat. Sobald sie etwas Geld hat, verreist sie in mein Heimatland, denn Claude steht auf Faust, auf den Dichter Thomas Brasch und auf Nina Hagen. Sie ist der einzige Mensch, den ich südlich des Äquators getroffen habe, der Pina Bausch kennt. Besonders fasziniert sie die Weiße Rose. Fetisch Deutschland – ja, so etwas gibt es. Exotischer geht’s kaum. Was ist dagegen schon Trekking in der Mongolei?
    Ich bestelle einen Flat White. Dieser kleine Schwarze mit Milcheinlage wurde – und hier streiten sich die Geister, genau wie bei der Baisertorte Pavlova – in Australien oder in Neuseeland erfunden. Von dort trat er seinen Siegeszug in London an. Dank des Flat Whites hat die Bevölkerung Lytteltons, mich eingeschlossen, ein neues Hobby: beim Barista anstehen.
    Claude trägt immer nur schwarz. Wenn sie ins Schwitzen kommt, bindet sie sich ein Stirnband um die Annie-Lennox-Stoppeln, was ihr gut steht. Von allen Baristas ist sie am coolsten. Dicht gefolgt von Liam mit Irokesenschnitt, Boxernase und karategestählten Schultern. Manche Frauen kommen nur ins Café, wenn Liam arbeitet, denn sie kennen seine Schichten. Trotz seiner Aufmachung hat er die Ausstrahlung eines Zen-Priesters. Angeblich schmeckt sein Kaffee besser.
    Claudes Germanophilie ist mir etwas suspekt. Letztens hat sie spontan ein Rilke-Gedicht zitiert, als sie mir meinen Milchkaffee brachte. Ich kenne niemanden, abgesehen von meinem sicher längst verstorbenen Deutschlehrer aus der zehnten Klasse, der das fertigbrächte. Sie verunsichert mich. Aber was ich an
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