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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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könnte er auch«, er holt kurz Luft und spuckt es aus, »für die Gestapo arbeiten!«
    Wir sind wieder beim Thema. Mit so viel geballter deutscher Geschichte wurde ich seit der Mittelstufe im Gymnasium nicht mehr konfrontiert. Wenn meine Landsleute als Trampel auffallen, liegt das natürlich an der braunen Vergangenheit. Das hat man als Arier einfach im Blut. Bäcker Jägi ist die Steilvorlage für meinen Einsatz: mich mit Grauen abwenden von den Herrenmenschen, die sich ungefragt und uncharmant in diesen Breitengraden tummeln. Das mache ich als alte Vaterlandsverräterin doch sofort.
    »Echt furchtbar, solche Blockwartnaturen. Führen sich hier schlimmer auf als zu Hause!«, pflichte ich Baxter bei. Auf keinen Fall will ich zu den SS -Schergen gezählt werden. Baxters Laune hebt sich wieder. Genau das wollte er hören. Ich stehe doch noch auf der richtigen Seite. Er feixt.
    »Hör dir mal die Nachricht auf meiner Mailbox an.«
    Ich höre. Der Biobäcker beschwert sich mit starkem Berliner Akzent, wo denn sein Handwerker abgeblieben sei. Er warte seit geschlagenen acht Minuten.
    »Jawohl, mein Fuhrer«, knurrt Baxter, schaltet das Handy aus und sein Radio an. Ich schlage als Zugabe meine Hacken zusammen.

      [Menü]      
    Ade zur guten Nacht
    ›NIP / TUCK‹ ist fast vorbei, als das Telefon klingelt. Ich bin vor dem Fernseher eingeschlafen. In halb aufgeknöpftem rosa Hemd und mit tropfender Botoxspritze geistert Skalpellschwinger Christian Troy durch meine Träume, als es schrillt. Es muss hart auf Mitternacht zugehen. Das kann nur Deutschland sein. Ich greife neben das Sofa, hebe den Hörer ab und setze mit einiger Mühe meine professionelle Stimme auf.
    »Anke Richter, hallo.«
    Die Antwort kommt mit der typischen Verzögerung von Auslandsgesprächen. Es dauert eine Sekunde. Die Männerstimme klingt aufgekratzt. Den Namen verstehe ich kaum. Ich mache mich auf das Schlimmste gefasst.
    »Guten Morgen, ach nee, guten Abend!«, schallt es aus dem Äther. Zeitverschiebung ist ein Phänomen, das auch in den Zeiten der Globalisierung zu faszinieren vermag. »Schon komisch, haha!«
    Es ist das Schlimmste. Es ist die KREIS -Zeitung. So heißt sie eigentlich nicht, aber da sie landläufig für ›katastrophal, reißerisch, erlogen, irritierend, sinnentleert‹ steht und das eine schöne Abkürzung ergibt, nenne ich sie mal so. Ich könnte gnädig sein und noch ›Chuzpe‹ und ›hart, aber herzlich‹ anhängen, dann wäre sie die Kreisch-Zeitung. Passt auch.
    Ich bin Auslandskorrespondentin am Arsch der Welt. Es ist ein schöner Arsch, zugegeben, der aber in Deutschland im Detail nur Leute interessiert, die sich am liebsten in Goretexjacken und Wohnmobilen aufhalten. Scud-Raketeneinschläge und Killerkommandos sind in Neuseeland äußerst selten. So unbedeutend ist mein journalistisches Kampfgebiet, dass es schon gewaltig im Pazifik rappeln muss, bis irgendein Redakteur ein paar Zeilen Platz für Aotearoa freischaufelt. Geschweige denn weiß, wie man den ursprünglichen und damit korrekten Namen meiner neuen Heimat ausspricht: Ah-teh-roa, mit gerolltem »r«. Es bedeutet ›Land der langen weißen Wolke‹. Und zum Üben gleich noch einen hinterher: Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahoronukupokaiwhenuakitanatahu. Das ist der längste Ortsname der Welt, genauer ein Hügel im Osten der Nordinsel – kurz Taumata – und er übersetzt sich so: ›Der Felsgipfel, auf dem Tamatea, der Mann mit den dicken Knien, der hinunterglitt, hinaufkletterte und Berge verschlang, bekannt als der Landfresser, auf einer Flöte seiner Geliebten vorspielte.‹
    Als freie Journalistin biete ich vor allem Zeitschriften Themen an. Greift doch mal jemand zum Hörer und stöbert mich auf, dann gehe ich sofort von einem Großereignis aus: Erdbeben, dritter Weltkrieg oder Atomversuch auf einem Südseeatoll. Zumindest eine Explosion wie die vor über zwanzig Jahren auf dem Greenpeaceschiff Rainbow Warrior sollte drin sein, wenn nachts Telefonalarm gemacht wird. Ich bin aufgeschreckt, erst recht mit dieser Zeitung am Ohr. Den KREIS -Kollegen verstehe ich nicht auf Anhieb. Der Fernseher läuft noch. »Horrorhaus« höre ich heraus. Was ist bloß passiert? Massenselbstmord in einer Maori-Sekte? Ein Josef Fritzl down under? Die ganze Welt weiß sicher längst davon, nur ich nicht – welch eine Blamage. Die Reputation meiner angeschlagenen Zunft steht mal wieder auf dem Spiel, weil ihr entlegenstes Mitglied statt
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