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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Übersetzung) oder auch – so im Falle von Übersetzungen der Werke von Sidney Sheldon, Danielle Steel, John Grisham und anderen populären amerikanischen Schriftstellern – um chōyaku (»Übersetzungen, die noch besser sind als die Originale«, ein eingetragenes Markenzeichen der Erfinder dieser Gruppe, der Academy Press). 1
    Das Deutsche verfügt über ein breites Spektrum von Namen für die verschiedenen Arten von Blumen: Den Zusammenhang zwischen »Tulpe« und »Blume« etwa kann man dadurch verdeutlichen, dass man »Blume« als Hyperonym und »Tulpe« zusammen mit »Rose«, »Hortensie«, »Kamelie« etc. als Hyponyme des Begriffs »Blume« bezeichnet. »Hyperonym« und »Hyponym« bezeichnen Zusammenhänge zwischen Wörtern einer Sprache und nicht botanische (oder andere) Zusammenhänge zwischen den von ihnen bezeichneten Dingen. Anders als das Japanische, dem ein Hyperonym für die vielen verschiedenen Namen fehlt, die es für Übersetzungen hat, besitzen das Deutsche oder das Englische zwar dieses Hyperonym, sie haben aber keine vergleichbare Palette von Hyponymen zu bieten. Aber schon mit der Bauform einer solchen Behauptung geraten wir in ein gefährliches Fahrwasser. Sie setzt nämlich Deutsch oder Englisch als die »maßgebliche« oder die »denkende Sprache«, weil nur sie den Oberbegriff bereithält und Neuprägungen, die den Sinn der japanischen Begriffe wiedergeben, mühelos aufnehmen könnte – »hinaufübersetzen«, »hinabübersetzen«, »neuübersetzen«, »rückübersetzen« »mitübersetzen« und so weiter. Weniger klar hingegen ist, wie wir das Abstraktum oder den Allgemeinbegriff »Übersetzen« ins Japanische übersetzen sollen, und das könnte uns zu der Annahme verleiten, das Japanische sei gerade in dem Punkt unzulänglich, in dem es reicher ist als das Englische, Deutsche oder Französische.
    In der Praxis verfügen japanische Sprecher aber durchaus über die Möglichkeit, den englischen Begriff »translation« ins Japanische zu übersetzen. Zu dem Zweck wird in japanischen Übersetzungen englischsprachiger Literatur zur Komparatistik und Übersetzungstheorie das Wort hon’yaku benutzt, ebenso im Verlagswesen und im internationalen Buchhandel. Mit diesem begrenzten Einsatzgebiet deckt es die Bandbreite des Worts »Übersetzung« allerdings nicht ab. Hon’yaku bezeichnet Übersetzungen aus anderen (nicht-japanischen) Sprachen ins Japanische (oder vice versa), manchmal im engeren Sinne Übersetzungen aus Europa oder den Vereinigten Staaten, nicht jedoch den Großteil dessen, was »Übersetzen« noch bedeutet. »Wer«, so der Professor für japanische Literatur Michael Emmerich, »wie ich versucht, ›Übersetzung‹ mit dem Wort hon’yaku wiederzugeben, erzeugt … genau genommen eine Übersetzung der Art, die man im Japanischen als goyaku oder ›Falschübersetzung‹ bezeichnet.« Der japanische Begriff hon’yaku wird eher der Sphäre der Kunst zugerechnet, wohingegen der Begriff »Übersetzung« nach unserer Auffassung ein allgemeiner Begriff für etwas offenkundig Reales ist.
    Die durch einen Kategorienbegriff erzeugte Wortmagie ist es, die unachtsame Verwender zu der Annahme verleitet, die so bezeichnete Kategorie existiere wirklich. Nun könnte man sagen, dass diese Kategorie oder Klasse – jede Kategorie oder Klasse – als geistige Realität tatsächlich existiert, wenn es in der betreffenden Sprache einen Namen dafür gibt. Aber das ist nicht dasselbe wie die Behauptung, dass man mit der auf diese Weise geschaffenen Kategorie auch eine verlässliche, brauchbare, angemessene oder wirklich sinnvolle Aussage über die Welt treffen kann. Fehlen Begriffe für Kategorien, erschwert das zwar das Nachdenken darüber, was eine Gruppe von Dingen, die durch verschiedene Wörter bezeichnet werden, gemeinsam hat, macht es aber nicht unmöglich. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Das Englische hat ein einzelnes, sehr allgemeines Wort für Übersetzung, wohingegen das Japanische viele Wörter (für Übersetzungen) hat. Damit soll aber nicht gesagt sein, man könne auf Japanisch nicht über Übersetzungen im Allgemeinen nachdenken. Es bedeutet lediglich, dass europäische Darlegungen zum »wahren Wesen der Übersetzung«, ins Japanische übersetzt, tendenziell eher einen Aspekt der europäischen Kultur (namens »Übersetzung« oder hon’yaku ) betreffen und nicht das, was wir für die Kernfrage halten – das Wesen der »Übersetzung selbst«.
    Über etwas sprechen ist nicht so einfach,
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