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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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Das heißt, ist »Übersetzen« ein tatsächlich vorhandenes Ding, das wir erkennen, bezeichnen, untersuchen und verstehen können – oder ist es nur ein Wort?
    Im Deutschen und in vielen anderen Sprachen ist das Wort für Übersetzung ein janusköpfiges Wesen. »Eine Übersetzung«/»a translation«/»une traduction« bezeichnet ein Produkt – jedes aus einer anderen Sprache übersetzte Werk; wohingegen »Übersetzung«/»translation« ohne Artikel oder »la traduction« auf Französisch den Prozess bezeichnet – den Vorgang, durch den »eine Übersetzung«/»a translation«/»une traduction« entsteht. Solche zweifachen Bedeutungen sind unproblematisch für Sprecher, in deren Sprache es regelmäßige Begriffspaare gibt, die sowohl auf einen Prozess als auch auf das Ergebnis dieses Prozesses verweisen (was für die meisten westeuropäischen Sprachen zutrifft). Engländer, Franzosen und so weiter sind den Umgang mit dieser Duplizität gewöhnt und spielen damit, wenn sie etwa walk the walk [dem Wort die Tat folgen lassen] und talk the talk [bloß Reden schwingen] sagen. Insbesondere Wörter lateinischen Ursprungs, die im Englischen, im Französischen und in vielen deutschen Fremdwörtern auf -ion enden, bezeichnen fast immer einen Prozess und sein Resultat: Es stehen »Abstraktion« (der Prozess des Abstrahierens) neben »eine Abstraktion«, »Konstruktion« (die Tätigkeit des Errichtens) neben »eine Konstruktion« (das fertige Bauwerk) und so weiter. Nehmen wir einen verwandten Fall aus einer anderen Sprache: Wer anderen beibringt, wie man cordon bleu zubereitet, braucht wohl nicht zu erklären, dass die Franzosen mit dem Wort cuisine den Ort bezeichnen, an dem Speisen zubereitet werden (die Küche), und die Ergebnisse dieser Zubereitungen ( haute cuisine, cuisine bourgeoise etc.). Zwischen der Bedeutung von »translation« und »a translation« zu unterscheiden ist daher eigentlich kein Problem. Wir sollten aber trotzdem im Hinterkopf behalten, dass sie nicht dasselbe sind, und uns vor Verwechslungen hüten.
    Schwierig ist hier etwas anderes. Unter der Überschrift »eine Übersetzung« werden meist Texte unterschiedlichster Art versammelt: Bücher, Immobilienverträge, PKW-Reparaturhandbücher, Gedichte, Theaterstücke, juristische Abhandlungen, philosophische Werke, CD-Booklets und Webseitentexte, um nur einige zu nennen. Aufgrund welches gemeinsamen Merkmals sehen wir uns veranlasst, sie allesamt für Beispiele dessen zu halten, was wir als »eine Übersetzung« bezeichnen? Sprachprofis werden Ihnen sagen, dass einen Firmenkatalog oder ein Gedicht zu übersetzen zwei Paar Schuhe sind. Warum haben wir nicht verschiedene Wörter für diese verschiedenen Tätigkeiten? Es gibt andere Sprachen, denen es nicht an einzelnen Wörtern zur Benennung der vielfältigen Dinge mangelt, die im Deutschen alle unter »eine Übersetzung« fallen. Dies sind, um ein Beispiel zu geben, die wichtigsten Wörter, die zur Verfügung stehen, wenn man sich auf Japanisch darüber unterhalten möchte:
    Handelt es sich bei der in Rede stehenden Übersetzung um eine vollständige, bezeichnen wir sie vielleicht als eine zen’yaku oder eine kan’yaku . Eine Erstübersetzung ist eine shoyaku . Eine Rückübersetzung ist eine kaiyaku , und shin’yaku ist die Neuübersetzung, die eine alte Übersetzung oder kyū ayku ablöst. Eine Übersetzung einer Übersetzung ist eine jū yaku . Eine Standardübersetzung, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch eine neue abgelöst werden wird, ist eine teiyaku ; unangefochten bleiben dürfte wohl auch eine meiyaku oder »gerühmte Übersetzung«. Spricht ein gefeierter Übersetzer über die von ihm vorgelegte Arbeit, tut er sie vielleicht als setsuyaku ab, als »unbeholfene Übersetzung«, »meine« eben; was man wiederum nicht mit einer wirklich schlechten Übersetzung verwechseln darf, die als dayaku oder als akuyaku geschmäht wird. Eine Ko-Übersetzung ist eine kyō yaku oder eine gō yaku ; eine Rohübersetzung, eine shitayaku , kann durch eine »Kontrollübersetzung« oder kan’yaku aufpoliert werden, ohne dass daraus gleich eine kyō yaku oder gō yaku wird. Übersetzungen werden auch je nach ihrem Herangehen an das Original verschieden bezeichnet: Es kann sich um eine chokuyaku (wörtlich: »direkte Übersetzung«) handeln, eine chikugoyaku (Wort-für-Wort-Übersetzung), eine iyaku (»sinngemäße Übersetzung«), eine taiyaku (zweisprachig auf gegenüberliegenden Seiten präsentierte
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