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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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und so weiter. Auf ähnliche Weise übersetzen Verwender anderer Sprachen, die erfolgreich kommerzielle und kulturelle Kontakte mit englischsprachigen Nationen pflegen, heute die verschiedensten englischen Begriffe rein lautlich und schaffen neue Wörter: auf Chinesisch ( kù , cool), Französisch ( le footing , Jogging), Japanisch ( smāto , smart, klug, elegant), Deutsch ( Handy , mobile phone) und so weiter, die von englischen Muttersprachlern nicht ganz oder gar nicht verstanden werden.
    Lehnwörter (und, noch allgemeiner, die wechselseitige Durchlässigkeit für Wortschatz, Syntax und Klang zwischen Sprachen, deren Verwender in Kontakt stehen) sind für die Übersetzungswissenschaft meist kein Thema. Und aus konventioneller Perspektive ist das vermutlich universell genutzte Verfahren, nicht richtig Verstandenes annäherungsweise nachzusprechen, ja wirklich das Gegenteil von Übersetzen – bei dem man das Verstandene mit anderen Worten wiedergibt. Allerdings ist es eine Grundtatsache interkultureller Kommunikation, dass Kulturen, die miteinander in Kontakt stehen, sprachliche Anleihen vornehmen – und das wiederum ist das Feld der Übersetzung.
    In der Realität greifen professionelle Übersetzer oft auf Lautübersetzungen zurück. Der englische Übersetzer von Solschenizyns beispielloser Schilderung des sowjetischen Gulagsystems Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch musste sich entscheiden, mit welchem Wort er die Insassen der Lager bezeichnen sollte, die auf Russisch зеки (Singular: зек , von заключённый , »eingesperrt«) genannt wurden und sich auch selbst so nannten. Er wählte zeks (gesprochen »seks«). Zeks ist die homophone Übersetzung eines russischen Akronyms mit englischer Pluralendung. Wenn Übersetzen lediglich der Transfer von Bedeutung aus einer Sprache in eine andere ist, dann ist zeks keine Übersetzung und auch kein Englisch. Aber das greift zu kurz. Übersetzen schließt vieles ein, das über die gängigen Definitionen hinausgeht. Und es ist doch viel interessanter, unsere Auffassung vom Übersetzen zu erweitern, als die Arbeit des englischen Solschenizyn-Übersetzers nur deshalb abzulehnen, weil sie nicht mit dem Wörterbuch vereinbar ist. Das hieße, das Kind statt des Badewassers auszuschütten.

4. WAS ÜBER DAS ÜBERSETZEN GESAGT WIRD
    Eine Übersetzung ist kein Ersatz für das Original. Das ist Tatsache. Das weiß jeder.
    Vollkommen klar ist aber auch, dass das nicht stimmt. Übersetzungen sind Ersatz für Originaltexte. Man verwendet sie anstelle eines Werks, das in einer Sprache verfasst ist, die man nicht ohne Weiteres lesen kann.
    Die Behauptung, Übersetzungen seien kein Ersatz für Originale, ist nicht die einzige Binsenweisheit, an der nichts dran ist. Munter und vergnügt sagen wir »Verbrechen lohnt sich nicht«, »Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein«, »Lügen haben kurze Beine« und andere Dinge, die im krassen Widerspruch zur Realität stehen – russische Mafiosi aalen sich an der französischen Riviera, Familiengeheimnisse bleiben ungelüftet. Sprichwörter dieser Art brauchen nicht zu stimmen, um trotzdem sinnvoll zu sein. Denn meist wollen wir in einer bestimmten Situation jemanden damit mahnen, trösten oder ermutigen und nicht etwa eine Theorie der Gerechtigkeit aufstellen, das Bauwesen umkrempeln oder uns als Forensiker empfehlen. Deswegen führt die Rede von der Übersetzung, die kein Ersatz für das Original sei, nur den in die Irre, der das für eine bekannte Tatsache hält. Es ist wirklich erstaunlich, wie viele in die Falle tappen.
    Wenn man »Verbrechen lohnt sich nicht« zu einem Teenager sagt, der gerade dabei erwischt worden ist, wie er an einem Stand eine DVD klauen wollte, spielt es keine Rolle, ob man das Sprichwort für wahr hält oder nicht. Man möchte den jungen Menschen dahin lenken, dass er das achte Gebot respektiert, und bedient sich zu diesem moralischen Zweck einer herkömmlichen Redensart.
    Ebenso wird ein Lehrer, der seine Schüler dabei erwischt, dass sie Der Fremde auf Deutsch gelesen haben, obwohl sie Camus’ Roman in Vorbereitung auf den Unterricht auf Französisch lesen sollten, ihnen Vorhaltungen machen und in strengem Ton sagen: »Eine Übersetzung ist kein Ersatz für das Original!« Die Schüler wissen, dass das nicht stimmt – sie sind ja eben dabei erwischt worden, dass sie die Übersetzung statt des Originals benutzt haben. Sie verstehen aber auch, dass der Lehrer mit der Floskel eigentlich
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