Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
Vom Netzwerk:
»Fährmann« oder der »Lastwagenfahrer« mitschwänge? Hätten wir je danach gefragt, was ein Übersetzer da eigentlich über die »Sprachbarriere« »trägt«, wenn wir ihn »Wender«, »Zungenmann« oder »Auswechsler« nennen würden? Vermutlich nicht. Die in der Übersetzungswissenschaft üblichen Begriffe sind metaphorische Erweiterungen – Ausgestaltungen der Metapher – der etymologischen Bedeutung des Worts »Übersetzung«.
    Doch wir können unserer Welt nicht entrinnen. Wir sagen »übersetzen« und wir denken »transportieren«, und weil wir »transportieren« denken, brauchen wir eine Ergänzung, das Objekt zu diesem Verb. Und die im Westen etablierte Tradition des Nachdenkens über Sprache hat bislang nur einen für die Rolle geeigneten Kandidaten gefunden: die »Bedeutung«.
    »Bedeutung« ist jedoch nicht der einzige Teil einer Äußerung, der sich theoretisch und praktisch in etwas anderes »umwandeln« lässt. Ganz im Gegenteil. Gesagtes wird immer in einem bestimmten Tonfall gesagt, mit einer bestimmten Betonung, in einem realen Kontext und unter Einsatz des Körpers (Gesten, Haltung, Bewegungen) … Geschriebenes wird immer in einer bestimmten Anordnung dargeboten, in einer Schrifttype oder Handschrift, auf einem physischen Träger (Plakat, Buch, Display oder Zeitung) … Nur selten aber werden alle diese Dimensionen, die eine Äußerung zwangsläufig besitzt, auch als Teil der einem Übersetzer gestellten Aufgabe angesehen. Wie so oft eignet sich ein guter Witz, um zu zeigen, wo die Grenzen der Übersetzung liegen.
    Spanglish ist eine melancholisch angehauchte Filmkomödie des Regisseurs James L. Brooks. Sie schildert eine Sprachsituation, die vielen Lesern dieses Buchs bekannt sein dürfte und die vielleicht so alt ist wie die Geschichte der Menschheit. Die Heldin ist Mexikanerin und alleinerziehende Mutter und arbeitet als Haushaltshilfe bei einer wohlhabenden amerikanischen Familie. Sie spricht nicht Englisch – ihre zehn Jahre alte Tochter aber schon. In einem kritischen Moment muss die Mutter ihren Arbeitgebern mitteilen, was sie denkt und fühlt, und ruft ihre Tochter hinzu, die übersetzen soll. 7 Das Mädchen ist sprachlich gut gerüstet für die Aufgabe, weiß aber nichts über die Gepflogenheiten des Übersetzens. Statt nur den Sinn dessen wiederzugeben, was ihre Mutter sagt, ahmt sie mit Gusto deren theatralische Bewegungen nach, und zwar in einem zeitversetzten Pas de deux. Perfekt Englisch sprechend, schwenkt sie die Arme, stampft mit dem Fuß auf, hebt die Stimme und variiert den Ton, um alle Facetten dessen wiederzugeben, was ihre Mutter auf Spanisch spricht. Man muss unwillkürlich laut lachen bei dieser Szene. Warum? Weil nur ein intelligentes, aber ungebildetes Kind auf den Gedanken käme, das sei Übersetzen – und es uns vorführt.
    Man kann in einer anderen Sprache aber sehr wohl Dimensionen einer Äußerung darstellen, die das enge Korsett von »Bedeutung« sprengen, das dem Übersetzen einiges von seiner Vielschichtigkeit nimmt – und auch den Spaß daran. Denken Sie zum Beispiel an den bekannten Vers
    Humpty Dumpty sat on a wall
    und probieren Sie aus, ob Sie diese Wörter – es geht nur um den Klang, nicht um die Bedeutung – mit deutscher oder französischer Intonation nachsprechen können. Das gelingt offensichtlich nicht hundertprozentig, weil das Deutsche und das Französische andere Lautsysteme verwenden. Die Wörter lassen sich aber mit den deutschen oder französischen Lauten nachsprechen, die den englischen der obigen Zeile am nächsten kommen. Danach können wir die Wörter so niederschreiben, wie sie ungefähr lautlich dem Deutschen oder Französischen entsprechen:
Um die Dumm’ die
Un petit d’un petit
Saturn Aval.
S’étonne aux Halles. 8
    Sind das Übersetzungen? Könnte sein, wenn wir es nicht Übersetzung nennen, sondern »lautliche Nachbildung«, »Nach-Rede« oder »Abgelauschtes«. Lautliche Übertragungen (auch homophones Übersetzen genannt), wofür dies Beispiele sind, mögen heute nur selten praktische Anwendung finden, historisch betrachtet waren sie aber ein Hauptweg für Zuflüsse in den Wortschatz des Englischen und vieler anderer Sprachen. Englische Muttersprachler sind über die Jahrhunderte mit Dutzenden anderer Kulturen in Berührung gekommen, haben auf die dort gebrauchten Wörter gelauscht, sie unter Verwendung des englischen Lautsystems nachgesprochen und so neue Wörter hervorgebracht, »Bungalow« etwa, »Kakao«, »Tomate«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher