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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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wenn man kein Wort für dieses Etwas hat, und deshalb entwickelt man in der Forschung eine Terminologie für die Gegenstände, die es auf dem jeweiligen Spezialgebiet gibt oder deren Existenz angenommen werden muss. »Übersetzung« ist aber weder ein erfundener noch ein fachsprachlicher oder entliehener Begriff wie »Wasserstoff«, »Megabyte« oder »Chiaroscuro«. Es ist ein Gattungsname und ein gewöhnlicher, unmarkierter Begriff, der allgemeinsprachlich verwendet wird. Was genau bezeichnet er?
    Üblicherweise greift man an dieser Stelle auf die Etymologie zurück, auf die Geschichte des Worts. Das englische translate wie das altfranzösische translater gehen zurück auf die beiden lateinischen Wörter trans und latum , das Partizip Perfekt des Verbs ferre . In der Renaissance entlieh das Französische ein zweites, ähnliches Wort aus dem Italienischen, tradurre nämlich, das ebenfalls aus lateinischen Wörtern mit der Bedeutung »hinüber« (trans) und »führen, tragen« (ducere) gebildet ist, und ersetzte translater durch traduire . Im Englischen jedoch behielt man das bei der normannischen Eroberung eingeführte altfranzösische translater bei und verwendet translate bis heute. Die englischen, französischen und italienischen Wörter und ihre Entsprechungen im Deutschen (übersetzen) oder Russischen (переводить) haben offensichtlich also ähnliche Etymologien, und dies ist der Grund dafür, dass man in Lehrbüchern zum Übersetzen, in Enzyklopädien und so weiter überall formelartige Aussagen findet, die so oder so ähnlich lauten:
    »Übersetzung ist der Transfer von Bedeutung aus einer Sprache in eine andere.« 2
    Das ist eine solche Binsenweisheit, dass ein Kommentar sich erübrigt. Aus der Geschichte eines Worts erfährt man aber nicht viel über seine tatsächliche Bedeutung. Zu wissen, dass das Wort »ambulant« vom lateinischen ambulare abstammt, was »umhergehen, spazieren gehen« heißt, verrät einem noch nicht, was das Wort heute bedeutet. Etymologien verschleiern Grundprinzipien der Sprachverwendung, darunter auch solche, die das Übersetzen betreffen. Um es klar zu sagen: Ein Übersetzer »trägt« seine Bedeutungsfracht nur deshalb »über [ein Hindernis]«, weil das zur Beschreibung seiner Tätigkeit verwendete Wort in einer alten Sprache »(hin)übertragen« bedeutete. »Übertragen« ist lediglich eine Metapher, deren Beziehung zur Realität des Übersetzens erst noch ermittelt werden muss und nicht als gegeben hingenommen werden darf. In vielen Sprachen, unsere eigene eingeschlossen, gibt es diverse andere Metaphern, die mit demselben Recht unsere Aufmerksamkeit beanspruchen dürfen wie das alles andere als schlüssige Bild des Fährmanns oder des Spediteurs, der etwas von A nach B transportiert.
    Was, wenn wir ein Wort mit anderen historischen Wurzeln benutzen würden? Was, wenn sich die Wortgeschichte nicht zurückverfolgen ließe? Übersetzer würden ohne Zweifel weiter übersetzen, und die Probleme und Paradoxien ihrer Profession wären kein Jota anders. Nähmen wir aber ein anderes Wort, wenn wir über das Übersetzen sprechen, würden große Teile des heutigen Diskurses über das Phänomen sinnlos und hohl werden.
    Im Sumerischen, der Sprache des altorientalischen Babylons, sieht das Wort für »Übersetzer«, in Keilschrift geschrieben, so aus:

    Eme-bal gesprochen, bedeutet es »Sprachwandler«. Auch im klassischen Latein war das, was Übersetzer taten, vertere , also (griechische) Ausdrücke in die Sprache Roms »umwandeln«. Wir verwenden im Englischen noch dasselbe Bild (»turn«), wenn ein Filmproduzent einem Romanautor mitteilt, dass er dessen neuestes Buch verfilmen möchte, oder wenn ein Lehrer einen Schüler auffordert, aus dem englischen Satz einen deutschen zu machen. Tanimtok , das Wort für »Übersetzung« im Tok Pisin, der Lingua franca von Papua-Neuguinea, besteht aus denselben Elementen, nämlich »wandeln, bringen« (tanim) und »sprechen« (tok) . 3 Natürlich befinden wir uns mit »bringen« oder »wandeln« auf ähnlich rutschigem Boden wie mit »übertragen«, aber da man auch Milch in Butter, einen Frosch in einen Prinzen und einfaches Metall in Gold verwandeln kann, wäre die Geschichte des Übersetzens im Westen vielleicht ganz anders verlaufen (mit entsprechenden Folgen für Status und Bezahlung von Übersetzern), hätten wir den Job immer als ein »Wandeln« aufgefasst.
    Im Finnischen kann man »übersetzen« mit zwei Verben übersetzen: Das eine,
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