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Was macht der Fisch in meinem Ohr

Was macht der Fisch in meinem Ohr

Titel: Was macht der Fisch in meinem Ohr
Autoren: Silvia David u Morawetz Bellos
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einmal einen Ersatz dafür – nicht einmal die literarische Entsprechung von Instantkaffee. Die angebliche Unersetzlichkeit des literarischen Originals verurteilt diejenigen, die die fragliche Sprache nicht lesen können, dazu, sogar auf den Nescafé zu verzichten und sich mit Spülwasser zu begnügen. Fundiert äußern könnte sich dann nur, wer die Werke im Original zu lesen vermag.
    Die Beispiele von Cervantes (der Don Quijote gibt sich als Übersetzung aus dem Arabischen aus), Walpole, Macpherson, Gary, Guilleragues, Makine, Clifford und unzähligen anderen zeigen jedoch: Niemand kann sicher sein, dass er ein Original gelesen hat.
    Ismail Kadare erzählt in seinem Roman Chronik in Stein noch eine andere Geschichte über die Nichtunterscheidbarkeit von Original und übersetztem Text. Als Zehnjähriger war er fasziniert von einem Buch, das ein Onkel ihm geschenkt hatte. Mit seinen Geistern und Schlössern, mit Mord und Verrat übte es einen großen Reiz auf den Jungen aus, vor allem deshalb, weil es ihm einiges von dem erklärte, was sich in der Festungsstadt Gjirokastër in den vorausgegangenen Jahren des Krieges und der inneren Unruhen ereignet hatte. Der Titel des Buchs? Macbeth , von William Shakespeare. Der kleine Ismail sah Lady Macbeth in seiner Straße, er sah, wie sie auf dem Balkon die Hände rang, sich die schrecklichen Dinge abwusch, die in ihrem Haus geschehen waren. Er wusste nicht, dass das Stück ursprünglich auf Englisch geschrieben war. In kindlicher Begeisterung für einen Text, den er viele Male gelesen hatte, schrieb Kadare das vermeintliche Original eigenhändig ab und antwortet heute, wenn Kritiker ihn nach dem allerersten Buch aus seiner Feder fragen, mit nur halbem Lächeln stets: Macbeth . Bis heute spricht Kadare nicht Englisch, betrachtet das Macbeth -Erlebnis aber als die Grunderfahrung seines literarischen Lebens. Mag die Übersetzung, die ihn so ergriff, gut oder schlecht gewesen sein, wie Spülwasser hat sie ihm sicher nicht geschmeckt. Eher wie ein Elixier.
    Warum also heißt es dann immer noch, eine Übersetzung sei kein Ersatz für ein Original? Einen vorstellbaren Nutzen hätte das Sprichwort für diejenigen, die absichtlich keine Übersetzungen lesen, denn es würde ihr Tun rechtfertigen und erklären. Da sich mit werkeigenen Kriterien allein Übersetzungen aber nicht von Originalen unterscheiden lassen, könnten solche Puristen nie sicher sein, dass sie ihrer Sache auch treu sind. Und selbst wenn sie mit glücklicher Hand für ihre Lektüre immer nur zu Originalen gegriffen hätten, ergäbe das in der Summe ein ausgesprochen kurioses Bild von der Welt – wären es englische Leser, wüssten sie nichts von der Bibel, von Tolstoi oder vom Planet der Affen . Letztlich kaschiert das Diktum also nur die zweifelhafte Ansicht, eine Übersetzung sei etwas Zweitklassiges. Im Grunde ist das gemeint, wenn jemand sagt, eine Übersetzung sei kein Ersatz für ein Original.

5. FIKTIONEN DES FREMDEN: DAS PARADOX DES »FREMDEN KLANGS«
    Wer als Literaturkritiker oder Laie eine Übersetzung in den Himmel loben wollte, tat das im 20. Jahrhundert meist mit den Worten, der Text klinge ja, als sei er auf Deutsch (oder Englisch oder Französisch) geschrieben worden. Das ist hohles Lob, hat doch derselbe Kreis von Kritikern und Laien sich häufig als unfähig erwiesen zu erkennen, wann es sich bei einer angeblichen Übersetzung in Wahrheit um ein Original handelte. Gleichwohl stehen Natürlichkeit und Flüssigkeit in der »Ziel-« oder »Empfängersprache« hoch im Kurs und prägen die heutige Übersetzungspraxis nicht nur in der englischsprachigen Welt. Es gibt aber auch Gegenstimmen. Lässt ein in Paris spielender Kriminalroman seine Figuren in flüssigstem Englisch sprechen und denken – sogar dann, wenn sie den Boulevard Saint-Germain entlangtrotten, Pernod trinken und ein jarret de porc aux lentilles verputzen –, dann stimmt etwas nicht. Worin soll der Gewinn liegen, wenn man als Bettlektüre einen französischen Krimi liest, der nichts Französisches enthält? Wollen wir nicht, dass unsere französischen Kriminalbeamten wie Franzosen klingen? Domestizierende Übersetzungsstile, die gallischen Gangstern das Französische austreiben, sind von Kritikern als Ausübung »ethnozentrischer Gewalt« gebrandmarkt worden. 1 Ein Berufsethos, sagen diese Kritiker, sollte Übersetzer davon abhalten, aus Übersetzungen fremdsprachlicher Werke alles Fremde zu tilgen.
    Wie also ließe sich die Fremdheit
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