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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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ziemlich unwahrscheinlich, dass dieses nicht gerade nach Metropole klingende Örtchen in der Ansage erwähnt wird.
    Erst mal eine quarzen.
    Der Raucherbereich am Rand des Bahnsteigs ist mit einem großen gelben Viereck auf dem Boden gekennzeichnet. Die freiwillige Quarantäne, die genaue Ordnung. Hallo Deutschland.
    Ich zünde mir eine Zigarette an, wobei ich mit einem Fuß außerhalb des gelben Balkens stehe, was bestimmt hochgradig verboten ist.
    Â 
    Â»Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, ob die Züge Richtung Frankfurt über Koblenz fahren?«

    Abgesehen von den Sätzen »Einmal AB, bitte« vor ein paar Stunden im Bus und »Ich hätte gerne das da, ja, genau das mit dem Camembert« beim Bäcker am Hauptbahnhof sind dies die ersten Worte, die ich heute von mir gebe, und sie werden nicht gerade von Erfolg gekrönt - der rauchende Bahnbeamte neben mir ignoriert mich.
    Â»Hallo?«, frage ich und beuge meinen Kopf in sein Blickfeld.
    Â»Zur Information gehen«, brummt er leise und nimmt einen tiefen Zug an seiner Zigarette, ohne mich anzusehen.
    Â»Wie bitte?«
    Â»Zur Information gehen.« Er sieht mich immer noch nicht an.
    Â»Zur Information gehen?«
    Er macht die Andeutung eines Nickens, dann dreht er mir demonstrativ den Rücken zu.
    Ja, Sieg Heil, alte Schaffnersau.
    Ich trete die Kippe auf dem Boden aus, was wahrscheinlich auch verboten ist, und bewege mich zur Informationstafel. Als ich den großen gelben Abfahrplan der Deutschen Bahn nach einem Örtchen namens Reil/Mosel absuche, denke ich daran, was ich dafür geben würde, wieder auf den Straßen Nordamerikas zu sein, in irgendeinem Diner, mit dem Gratis-Coffee-Refill einer Kellnerin mit schiefen Zähnen, die freundlich fragt, wie es einem geht, was von deutschen Trotteln ja gerne als »oberflächlich« verunglimpft wird, weil sie Unfreundlichkeit angeblicher Oberflächlichkeit vorziehen, so ein Quatsch. Und sowieso, Menschen, die das Wort »oberflächlich« benutzen, sind mir ohnehin suspekt, die sagen auch Sachen wie »Das geht GAR nicht!«, und als Nächstes wissen sie meistens anzumerken, dass irgendwas total ȟberbewertet« ist, dabei ist das einzig Überbewertete
der Ausdruck »überbewertet«. Und »grenzwertig«, das ist auch so ein Begriff, der bei diesen Leuten sehr locker sitzt, alles ist immer grenzwertig, außer man selbst natürlich.
    Mann, jetzt habe ich mich völlig in Rage gedacht, alles nur wegen diesem blöden Schaffner.
    Schaffner, was für ein Scheißberuf das auch ist. Eine hässliche Uniform tragen und für jede Verspätung den Kopf hinhalten wie dieser Griesgram, der wahrscheinlich viel lieber Seefahrer oder Folterknecht geworden wäre. Aber es gibt so viele schlimme Berufe, da darf man gar nicht drüber nachdenken. Wie schlimm es sein muss, im Edeka an der Kasse die Tasten zu drücken, in einem zeltförmigen T-Shirt, auf dem in großen Lettern »Wir lieben Lebensmittel« steht, und fünfhundertmal am Tag zu sagen: »Einmal die Geheimzahl und mit Grün bestätigen«, oder mit einem Headset auf dem Kopf im Auftrag einer anonymen Firma wildfremde Menschen anzurufen und ihnen irgendeinen Mist anzudrehen, den sie nicht brauchen, oder Werbeblätter oder Umsonstzeitungen auszutragen, auch bei Regenwetter, die durchweichten Lappen in Briefkästen zu stopfen, obwohl man ganz genau weiß, dass sie kurz darauf auf direktem Wege in den Papiermüll wandern.
    Man kann Werbetexter sein, Fließbandarbeiter, Eventmanager, Metzger, Flugbegleiter, Busfahrer, Bestatter. MTV-Moderator, MTV-Rezeptionist oder irgendwas bei MTV. Sich verzweifelt an einen Job klammern, den man hasst, Dinge verkaufen, die man nicht mag, den größten Teil des Tages mit Menschen verbringen, die man verachtet, und dann auch noch froh sein müssen, dass man überhaupt einen Job hat. Man kann sich als Fliesenleger den Rücken ruinieren wie mein Vater, oder was meine Mutter alles gemacht
hat: putzen, Blumen verkaufen, im Gewächshaus schuften. Nach der Trennung von meinem Vater ist sie sogar mal durch Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern getuckert und hat Lexika an Haustüren verkauft.
    Aber auch bei der Vorstellung an einen der besser bezahlten Berufe wird mir sofort ganz anders. Makler, Steuerberater, Staatsanwalt, Ingenieur, Broker. Sich den ganzen Tag nur mit Geld, Gesetzen oder anderer
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