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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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vorbei, zeigt mit dem Finger auf den Penner und brüllt: »Guck dir das genau an, Marcel!«
    Marcel blickt verunsichert zwischen seiner Mutter und dem Penner hin und her.
    Â»Der Mann hat kein Zuhause, weil er keine Arbeit hat. Das passiert, wenn man sich nicht richtig anstrengt. Schreib dir das hinter die Löffel!«
    Marcel nickt. Er ist höchstens fünf Jahre alt.
    Ich schiebe die Karte in den Automaten und drücke auf dem Touchscreen den Button Kontoauszug . Ich mag das freundliche Summen, mit dem er erscheint, und ich mag das frische, glatte Papier. Kontoauszüge sind sauberer als Geld.
    Wenn man mal drüber nachdenkt, ist Geld wirklich eklig. Besonders Papiergeld. All die nassen Lappen, die ich abends in die Kasse stopfe, wo die schon überall waren, wer die alle schon in der Nase stecken hatte oder sonst wo. Am schlimmsten sind Fünfeuroscheine, die kann ich nur mit spitzen Fingern anfassen.
    Jetzt könnte man natürlich sagen, dass ich mit meinem Ekel vor kleinen, feuchten Scheinen als Barkeeper den falschen Job habe. Und hätte wahrscheinlich Recht - tatsächlich freue ich mich über jeden, der mit Münzen zahlt. Auch die amerikanische Albernheit, noch den kleinsten Absacker mit der Kreditkarte zu begleichen, käme mir im Grunde nicht ungelegen.
    Der amerikanische Dollar ist nicht viel besser, die speckigen Scheine fühlen sich an wie fünfzehn Jahre lang von
einem Cowboy in den schwitzigen Socken durch die Wüste geschleppt. Wenn es nach den Blindenvereinigungen ginge, hätten die da sowieso bald neues Geld, weil die Blinden nicht damit zurechtkommen, dass alle Scheine gleich groß sind. Habe ich gelesen. Oder hat mir jemand erzählt, was weiß ich.
    Der Kontoauszug sagt: noch genau 958,50 Euro.
    Ich hebe den kompletten Betrag ab und gehe nach Hause.
    Â 
    Vielleicht sollte ich dorthin fahren, wo im Januar alles angefangen hat, nach Krakau. Da würde sich ein Kreis schließen. Ich könnte die ganze Kohle in Spielotheken verballern, die in Polen »Salon Gier« heißen, was ich als Name für eine Spielhöllenkette äußerst gelungen finde. Ich könnte mich aber auch einfach nur in die Kneipen setzen und den Frauen beim Reden zuhören.
    Das Schönste auf der Welt ist, wenn Frauen Polnisch reden.
    Letztes Jahr habe ich regelmäßig bei meiner Hausverwaltung angerufen, weil da eine junge Frau mit einem polnischen Akzent am Telefon saß. Ich stellte ihr irgendwelche Fragen über meinen Wasserverbrauch und so was, nur um sie reden zu hören.
    Ich habe mir auch mal eine CD einer polnischen Sängerin namens Edyta Soundso gekauft, aber das war Balladenrock, Alanis Morissette auf Polnisch, da fiel es mir schwer, die Stimme von der Musik zu trennen. Es klang eher wie Itchy, wenn er im Suff versucht, englischsprachige Lieder mitzusingen.
    Aber Krakau war traumhaft. Stundenlang saß ich in Cafés und Kneipen neben Gruppen von Mädchen und Frauen und lauschte ihren Gesprächen. Da ich kein Polnisch kann,
höre ich die Sprache rein phonetisch, es ist wie Musik in meinen Ohren.
    Schließlich kam mir DIE Idee: Ich brauchte ein Hörbuch, gelesen von einer Polin. Ich kaufte mir ein Hörbuch von Olga Schießmichtot, gelesen von der Autorin selbst. Manchmal höre ich ein paar Kapitel zum Einschlafen. Ich verstehe kein Wort. Ich weiß nicht mal, worum es ungefähr geht. Aber der Klang ihrer Stimme lullt mich völlig ein. Zusätzlich ist das Ganze mit dem sanften Gedudel eines Glockenspiels unterlegt. Ein echter Volltreffer.
    Â 
    Mit dem Kopf noch halb in Polen, schließe ich die Wohnungstür auf, schieße meine Schuhe in die Ecke und gehe in die Küche.
    Im Kühlschrank liegt noch eine einsame Flasche Weißwein, die ich anscheinend irgendwann vor meiner Reise mal gekauft habe. Ich beschließe, einen erneuten Versuch zu unternehmen, mich zu betrinken. Irgendwann muss das doch mal klappen. Und als ich in der Schublade nach einem Korkenzieher suche, habe ich plötzlich eine viel bessere Idee, wie ich die 958,50 Euro verbraten kann.
    Ob ich seine Nummer noch habe? Ich klicke mich durch die Kontakte meines Mobiltelefons. Da ist sie ja. Soll ich da wirklich anrufen?
    Ich setze mich an den Küchentisch, öffne die Flasche, gieße mir ein Glas ein und trinke einen Schluck. Dann drücke ich auf die Taste mit dem grünen Hörer.

3
    Es ist gerade mal halb elf, doch die Sonne knallt schon vom
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