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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt
Autoren: Nagel
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Lasso.«
    Â»Wir reiten um die Wette …«
    Â»Sogar die Frauen!«
    Â»â€¦ ohne Rast und ohne Ziel!«
    Â»Ja, normal. Lass uns hier raus, das ist peinlich.«
    Â»Wahnsinn.«
    Â»â€¦ stell mich an den Marterpfahl, komm, hol das Lasso raus, so wie beim ersten Mal …«
    Â»Ich kotz gleich.«
    Â 
    Auf dem Weg nach draußen verfängt sich mein Fuß in einem Knäuel aus schmutzigen Girlanden. Ich verheddere
mich und stolpere gegen eine dünnlippige Frau mit Strohhut, die mir ihre schwitzigen Skeletthände auf die Schultern legt und dabei quiekt wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Ich schiebe sie von mir weg und laufe Flo hinterher.
    Er wartet vor dem Zelt auf mich. Schaut mich mit seinen treudoofen Hundeaugen an.
    Â»Ganz schön was los da drin, oder?«, lacht er.
    Â»Ich kann nicht verstehen, was ihr hier macht«, sage ich.
    Â»Wie meinst du das?«
    Â»Na gut, du wirst Winzer, da musst du hier sein. Aber was macht Judith hier?«
    Â»Wie, was ist das denn für eine Frage? Wir kommen halt von hier!«
    Â»Na und?«
    Â»Wie, na und ?«
    Â»Das heißt ja nicht, dass man hier versauern muss. Steht ja keine Mauer drum herum.«
    Â»Uns gefällt es hier.«
    Â»Euch gefällt es hier? Das ist doch alles eine elende Scheiße. Guck dich mal um - da drinnen stehen Zweiundzwanzigjährige und grölen Schlagerlieder und versuchen, der minderjährigen Nachbarin an die Wäsche zu gehen!«
    Â»Na ja, da muss man ja nicht hingehen. Wir sind wegen der Weinprobe hier, wir dachten, du wolltest so was vielleicht mal mitmachen.«
    Â»Ich kann den ganzen Scheißwein nicht mehr sehen, der kommt mir schon zu den Ohren raus«, sage ich.
    Â»Ach so. Hättste ja mal sagen können«, sagt Flo und sieht sehr enttäuscht aus.
    Â»Und außerdem, wo soll man denn sonst hingehen? Zur Mallorca-Party, Wet-T-Shirt-Contest, oder was? Hier ist doch nichts!«

    Â»Klar ist es anders als in der Stadt. Aber wir mögen das.«
    Â»Ihr?«
    Â»Ja, wir. Der springende Moment ist …«
    Â»Das heißt der springende Punkt !«
    Â»Der springende Punkt ist, dass wir von hier kommen. Hier sind wir zu Hause, hier ist unsere Familie. Vielleicht findest du das spießig, aber das ist auch wichtig, wenn wir Nachwuchs kriegen, dass Oma und Opa in der Nähe sind. Blut ist dicker als Wasser, gell!«
    Â» Blut? Wasser? Was redest du denn für eine Scheiße!«
    Â»Hey Meise, vielleicht sollten wir das nicht jetzt und hier diskutieren, oder?«
    Â»Du sagst immer wir und uns . Merkst du nicht, dass Judith hier eingesperrt wird, dass sie viel mehr auf dem Kasten hat?«
    Â»Wie meinst du das?«
    Â»Vielleicht ist Judith gar nicht so scharf auf die heile Welt. Vielleicht bist du derjenige, der Harmonie mit Langeweile und Liebe mit Gewohnheit verwechselt.«
    Â»Jetzt lass mal die Kirche im Dorf, Meise. Judith und ich haben es uns ausgesucht, hier zu leben. Wir hätten schon längst weggehen können, wenn wir gewollt hätten. Ich war ja sogar ein paar Jahre in Köln und bin freiwillig zurückgekehrt. Wir sind glücklich hier. Beide. Ich schwöre.«
    Er spreizt Zeige- und Mittelfinger und lächelt mich versöhnlich an. Nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Das Härteste, was er je gemacht hat, war, einen sarkastischen Kommentar auf der Facebook-Pinnwand eines Bekannten abzugeben. Das dickste Ding, das er je gedreht hat, war der Spickzettel in der Matheklausur vor zehn Jahren. Er hat sich
nie weiter gehenlassen, als neulich auf dem Jahrgangstreffen mal an einer Zigarre zu ziehen. Er ist so dermaßen geerdet, dass er niemals abheben und seine Welt von außen betrachten wird. Das Leben als langer ruhiger Fluss, welcher hier Mosel heißt.
    Ich bin nicht einfach nur wütend auf ihn, ich bin vor allem wütend darauf, dass ich nicht ruhigen Gewissens wütend auf ihn sein kann. Weil er so nett nett nett ist. Seine beschissene Gutmütigkeit ist nichts als Provokation. Sein unerschütterlicher Glaube an die Mittelmäßigkeit ist wie ein Tritt in die Eier. Seine bescheidene Zufriedenheit kotzt mich an.
    Wieso bleibt er so gelassen, während ich ihm all diese Dinge an den Kopf werfe?
    Wieso redet er überhaupt noch mit mir?
    Und wieso lächelt er jetzt so dämlich?
    Â 
    Â»Wir ziehen los mit ganz großen Schritten …«
    Das Gegröle muss man noch meilenweit hören
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