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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Autoren: Norbert Hoerster
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Millionengewinn machen wird, oder wenn eine junge Frau ganz im Vertrauen darauf lebt, dass Prinz Harry, in den sie unsterblich verliebt ist, sie eines Tages heiraten wird?
    Dass unter gewissen Voraussetzungen ein Leben, das von Illusionen gespeist wird, deshalb glücklicher verlaufen kann, ist unbestreitbar. Insofern kann unter Umständen auch dieReligion – selbst dann, wenn sie irrational sein sollte – zum Lebensglück der Menschen beitragen. Man darf jedoch nicht übersehen, dass ebenso gut das Gegenteil der Fall sein kann, dass die Religion also den Menschen auch Unglück bringen kann.
    Man betrachte in diesem Zusammenhang einmal näher das Merkmal 3 einer religiösen Einstellung. Woher, aus welcher Quelle, wird der religiöse Mensch denn tatsächlich seine moralischen Normen schöpfen, wenn jener Gott oder jedenfalls jene göttlichen
Gebote,
an denen er diese Normen auszurichten behauptet, in Wahrheit gar nicht erkennbar sind? Nun, er
kann
sie in diesem Fall ja nur von Menschen übernehmen, die diese Normen selbst geschaffen haben oder die sie ihrerseits von Menschen, die sie selbst geschaffen haben, übernommen haben. Dabei wird er diesen Normen allerdings eine göttliche Autorität zusprechen, die in Wahrheit nicht erweisbar ist, und sie so gegen jede innerweltliche Kritik immunisieren. Zu welchen Auswüchsen einer ebenso irrationalen wie inhumanen Moral ein solches Vorgehen aber in der Realität führen kann, zeigen nicht nur die Geschichte des Christentums und die Gegenwart des Islam; auch im gegenwärtigen christlichen Fundamentalismus gibt es hierfür noch genügend Beispiele.
    Nach alledem ist es sehr vordergründig zu sagen, man brauche sich um die Begründbarkeit oder Rationalität des Gottesglaubens gar keine Gedanken zu machen, da sich die Religion doch auf die Lebenspraxis positiv auswirke: Wenn Menschen zu Gott beteten und sich dabei wohlfühlten, so sei dies doch nur zu begrüßen. Denn selbst abgesehen davon, dass die lebenspraktischen Elemente der Religion sich, wiegesagt, gewiss nicht auf Handlungen wie Messfeiern und Gebete beschränken: Sogar ein Gebet oder eine Wallfahrt kann Menschen unter Umständen auch schaden, wenn diese Menschen so davon abgehalten werden, etwa ihre medizinischen Probleme auf säkulare Weise wirksamer zu lösen. Und in jedem Fall kostet ein Gebet ja Zeit, die man – sofern für das Gebet kein Adressat vorhanden ist – auf andere Weise vielleicht besser nutzen kann.
    Trotz allem soll und kann natürlich niemand gezwungen werden, unter rationalem Aspekt seine religiöse Einstellung infrage zu stellen oder zu begründen. Wer jedoch prinzipiell bereit ist, sein Leben nach der Vernunft auszurichten, wird, wenn er konsequent ist, auch die Religion in diese Haltung einbeziehen.
    Religionswissenschaftler würden wohl behaupten, dass bei den meisten Menschen, die religiös sind, die theoretischen Annahmen der Kategorien 1 und 2 für ihre religiöse Einstellung gar nicht ursächlich sind. Und dass diese Behauptung zutrifft, zeigt jedem einigermaßen intelligenten Betrachter – gleichgültig, ob er selbst religiös ist oder nicht – bereits sein Alltagsverstand: Der Durchschnittsgläubige stellt nicht etwa zuerst auf philosophischer oder theologischer Ebene theoretische Überlegungen über das Pro und Contra der Existenz Gottes an, entscheidet sich aufgrund dieser Überlegungen dann
für
die Existenz Gottes und findet aufgrund dieser Entscheidung dann den Weg zu einer umfassend religiösen Einstellung. Der Durchschnittsgläubige wurde vielmehr bereits in einem Alter religiös erzogen und sozialisiert, in dem er zu einer rationalen Entscheidung für den Gottesglauben noch gar nicht fähig war. Und er hält in späteren Jahren einfachdeshalb an seiner eingeübten Religiosität fest, weil er 1. sich darin wohlfühlt und weil 2. sein soziales Umfeld ebenfalls religiös geprägt ist.
    Natürlich gibt es neben Durchschnittsgläubigen gelegentlich auch Menschen, die, obschon religiös erzogen, aufgrund kritischer Reflexion über die Existenz Gottes ihre Religion aufgeben, sowie Menschen, die, obschon
nicht
religiös erzogen, aufgrund kritischer Reflexion über die Existenz Gottes zur Religion finden. Doch auch wenn es in Wahrheit solche Menschen
nicht
geben würde, würde dies unserer Fragestellung nach dem Verhältnis von religiösem Glauben und Wissen keinen Abbruch tun. Denn diese Fragestellung ist gar nicht in einem soziologischen oder psychologischen Sinn gemeint – nämlich
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