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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Autoren: Norbert Hoerster
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Instrumentalwerte sind (siehe S. 85 f.) und dass sie zumindest in dieser Funktion auch für Menschen fremder Kulturen Gegenstand der Erkenntnis sein können. Welchen Eigenwerten also, die auch von den Menschen fremder Kulturen verfolgt werden, könnten diese Grundwerte dienen? Ich beschränke mich im folgenden auf den Grundwert der «Menschenrechte».
    Unter Menschenrechten versteht man solche individuellen Rechte oder Ansprüche, die aus ethischen Gründen von jedemStaat der Welt allen Menschen innerhalb seines Hoheitsgebiets als verfassungsmäßige Grundrechte zuerkannt werden sollten. Die wichtigsten dieser Menschenrechte sind das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Handlungsfreiheit. Wenn ein Staat diese Rechte anerkennt, verpflichtet er sich dazu, 1. seinerseits dem Individuum im Prinzip das Leben, die körperliche Unversehrtheit und die Handlungsfreiheit nicht zu nehmen und 2. das Individuum vor rechtswidrigen Angriffen anderer Individuen auf diese Werte möglichst wirksam zu schützen. In der folgenden Argumentation beschränke ich mich auf das Beispiel des Rechts auf Leben.
    Es ist leicht zu sehen, dass wohl jedes menschliche Individuum – gleichgültig in welchem Kulturkreis – sowohl einen Eigenwert als auch einen Instrumentalwert zumindest mit dem
eigenen
Leben verbindet. Der soziale bzw. rechtliche Grundwert des Rechts auf Leben erfasst jedoch auch das Leben aller Mitbürger. Kann unter diesen Umständen, so ist zu fragen, der Einzelne zu der Erkenntnis kommen oder das Wissen erlangen, dass nicht nur die Respektierung seines eigenen Lebensrechts, sondern auch die Respektierung des Lebensrechts seiner Mitbürger für ihn jedenfalls einen Instrumentalwert darstellt?
    Die Antwort auf diese Frage ist nicht schwer zu finden: Der Einzelne hat einfach keine Chance, den Wert des eigenen Lebensrechts zu realisieren, wenn er nicht im Prinzip auch das Lebensrecht seiner Mitbürger anerkennt. Um von meinen Mitbürgern als Inhaber eines Lebensrechts anerkannt zu werden, muss ich bereit sein, auch meine Mitbürger als Inhaber eines Lebensrechts anzuerkennen. Nur ein Lebensrecht,das im Prinzip
von
allen und
für
alle anerkannt wird, kann im Regelfall auch mir einen wirksamen Lebensschutz durch den Staat garantieren.
    Trifft dies aber wirklich auf jede beliebige Gesellschaft unter allen Umständen zu? Kann nicht unter gewissen Umständen ein machtbesessener Diktator das eigene Leben und das seiner Führungsclique auch wirksam sichern, ohne dafür ein allgemeines Lebensrecht aller Bürger anzuerkennen?
    Das ist gewiss nicht auszuschließen. Die Geschichte zeigt jedoch, dass jede Diktatur mittel- bis langfristig zumindest mit erheblichen Risiken verbunden ist. Es gibt keine menschlichen Individuen, die von Natur aus so stark und mächtig sind, dass sie die Gewissheit haben können, auf Dauer mit ihren Mitmenschen gefahrlos ohne jede Rücksicht umgehen zu können. Man darf in diesem Zusammenhang nicht den Fehler machen, nur jene totalitären Herrscher zu betrachten, die tatsächlich das Glück hatten, lebenslang ihre Macht behaupten zu können. Man muss vielmehr auch jene
potenziellen
Herrscher in die Betrachtung einbeziehen, die bereits auf dem Weg zur Macht gescheitert sind bzw. sogar ihr Leben verloren haben. Das Risiko hierfür ist jedenfalls stets vorhanden.
    Zumindest so viel kann man sicher wissen: Für die große Mehrheit der Mitglieder
jeder
menschlichen Gesellschaft stellt eine staatliche Garantie der elementaren Menschenrechte einen hohen Wert dar. Es mag zwar der Fall sein, dass in manchen Gesellschaften Bedingungen herrschen, unter denen zahlreiche Bürger dies nicht selber erkennen. Dies kann dann aber nur darauf beruhen, dass diese Bürger – etwa aus religiöser oder sonstiger ideologischer Verblendung –sich irgendwelchen Illusionen hingeben und somit über alle relevanten Fakten nicht wirklich aufgeklärt sind bzw. diese Fakten nicht angemessen zu würdigen wissen. Das aber schließt, wie wir schon sahen (S. 88 f.), grundsätzlich nicht aus, dass auch für diese Menschen die Menschenrechte in Wahrheit einen Wert darstellen. Denn zumindest das
eigene
Leben, die
eigene
körperliche Unversehrtheit und die
eigene
Handlungsfreiheit stellen zweifellos, so wie die menschliche Natur beschaffen ist, für jeden urteilsfähigen und aufgeklärten Menschen einen Eigenwert dar.

6. Sind religiöser Glaube und Wissen vereinbar?
    Es gibt Religionen sehr unterschiedlicher Art.
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