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Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen

Titel: Was können wir wissen? - Philosophische Grundfragen
Autoren: Norbert Hoerster
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In manchen, den monotheistischen Religionen wie dem Christentum, steht der Glaube an einen einzigen Gott im Zentrum. In anderen, den polytheistischen Religionen wie dem Hinduismus, sind es mehrere, verschiedene Götter, die Gegenstand des Glaubens sind. Und es gibt sogar Religionen wie den Buddhismus, in denen der Glaube an Gott oder an göttliche Wesen überhaupt keine Rolle spielt.
    Wenn das richtig ist, wie können wir dann so unterschiedliche Phänomene wie das Christentum, den Hinduismus und den Buddhismus alle gleicherweise als Religionen bezeichnen? Der Grund liegt darin, dass der Begriff «Religion» in Wahrheit nicht nur durch den Glauben an übernatürliche, insbesondere göttliche Wesen, sondern durch eine
Mehrzahl
typischer Merkmale charakterisierbar ist, von denen der Glaube an übernatürliche Wesen nur eines ist. Die wichtigsten dieser Merkmale bzw. Kategorien von Merkmalen dürften die folgenden sein:
     
      1. Der Glaube an übernatürliche Wesen und ihr Wirken.
      2. Der Glaube an einen Sinn des Weltverlaufs mit Bezug auf die menschliche Existenz.
      3. Die Anerkennung moralischer Normen als Gebote übernatürlicher Wesen.
      4. Die Orientierung des persönlichen Lebens am Sinn des Weltverlaufs.
      5. Emotionale Kontakte zu den übernatürlichen Wesen oder zum Sinn des Weltverlaufs.
      6. In einer sozialen Gruppe verankerte Riten.
    Damit wir ein Phänomen als «Religion» bezeichnen können, müssen nicht unbedingt sämtliche dieser sechs Kategorien von Merkmalen – und dies in vollem Umfang – gegeben sein. Es genügt, wenn jedenfalls die meisten von ihnen – in deutlichem Umfang – gegeben sind. Insofern können wir eben auch den Buddhismus, obschon er die Merkmale 1 und 3 nicht aufweist, als eine Religion bezeichnen. Von genau welchem Punkt an man ein weltanschauliches Phänomen richtigerweise
nicht
mehr als Religion bezeichnen kann, lässt sich kaum sagen. So sind Zweifel angebracht, ob man zum Beispiel den Kommunismus noch als Religion bezeichnen kann. Ganz unzweifelhaft jedoch ist, dass die drei großen monotheistischen Weltreligionen – das Judentum, das Christentum und der Islam – im Vollsinn des Wortes als Religionen zu bezeichnen sind. Denn in ihnen finden wir alle sechs der genannten Merkmale deutlich vorhanden, wenn auch nicht in jeder der drei Religionen in gleichem Umfang. So spielen etwa Riten im Judentum eine weitaus größere Rolle als in den protestantischen Versionen des Christentums.
    Kommen wir nun zur eigentlichen Fragestellung dieses Kapitels, was religiösen Glauben und Wissen angeht. Zu diesem Zweck müssen wir den Begriff «religiöser Glaube»noch präzisieren. Unter einem «religiösen Glauben», der zum Wissen in Beziehung treten kann, soll hier nicht etwa jene die Merkmale 1 bis 6 umfassende Haltung eines Menschen verstanden werden, die das ausmacht, was wir als seine «Religion» bezeichnet haben. Die Religion eines Menschen können wir besser als seine «religiöse Einstellung» bezeichnen. Mit dem «religiösen Glauben» eines Menschen sollen dagegen lediglich seine religiösen Glaubensannahmen über etwas Seiendes oder Existentes, nämlich über eine spezielle Wirklichkeit im Sinn der Merkmale 1 und 2 gemeint sein.
    So gesehen, ist die Religion oder die religiöse Einstellung eines Menschen ein sehr komplexes Phänomen. Dieses Phänomen umfasst im typischen Fall 1. die theoretischen Religionsmerkmale der Kategorien 1 und 2, die Merkmale eines religiösen
Glaubens,
2. die praktischen Religionsmerkmale der Kategorien 3 und 4, die Merkmale einer religiösen
Moral,
3. die emotionalen Religionsmerkmale der Kategorie 5 (wie Gebet, Ehrfurcht, Liebe oder Geborgenheit) und 4. die rituellen Religionsmerkmale der Kategorie 6 (wie Messen, Konfirmationen, Waschungen oder Wallfahrten). Natürlich kann es dabei auch Überschneidungen zwischen den Merkmalen der sechs Kategorien geben. So ist etwa für den Christen der Glaube an einen Sinn des Weltverlaufs bestimmt durch seinen Glauben an die Absichten eines Gottes. Und in der katholischen Messe wird unter anderem auch gebetet.
    Nach alledem betrifft die Fragestellung dieses Kapitels in ihrem Bezug auf religiösen Glauben und Wissen nur einen Teil aller Merkmale oder Aspekte von Religion oder religiöser Einstellung, nämlich den Glauben an übernatürliche Wesen (Merkmal 1) und den Glauben an einen Sinn des Weltverlaufs(Merkmal 2). Das hat eine wichtige Konsequenz: Eine religiöse Einstellung, die ganz ohne die
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