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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
Autoren: Karl Marlantes
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der Hand. Die Statue der Gerechtigkeit mit den verbundenen Augen in unseren Gerichten zeigt uns ein Schwert und eine Waage.
    Mit der Zeit verschwand Teiwaz und wurde bei den frühen Germanen am Ende zu Wotan, bei den altnordischen Wikingern zu Odin. Davidson schreibt dazu: »Im Laufe der Zeit bewegen sich die Gewichte von einem obersten Herrscher, der Sieg und Niederlage in der Hand hält und die Menschen den Wert von Gesetz und Ordnung lehrt, zu einer eher launenhaften Macht, die ihre Gefolgschaft mit Tollheit überzog und Sieg oder Niederlage mit der Arroganz eines irdischen Tyrannen zuteilte.« [90] Diese Brüche in unserer Kultur schlugen sich in unserer Psyche nieder, und damit auch in den Bildern von unseren Göttern. Heute haben wir einen Kriegsgott, der von einer früheren, ganzheitlicheren Gestalt abgespalten wurde.
    Im alten Griechenland und in Rom wurde der kombinierte Kriegs- und Gerechtigkeitsgott zu einem Gott der Schlacht, dem schrecklichen Ares oder Mars. Robert Graves geht ziemlich scharf mit ihm ins Gericht: »Der thrakische Ares liebt den Kampf um seiner selbst willen … Alle Götter, von Zeus und Hera angefangen, hassen ihn, ausgenommen Eris und Aphrodite, die eine widernatürliche Leidenschaft für ihn hegt, und Hades, der gierig auf die jungen Krieger wartet, die in grausamen Schlachten fallen.« [91]
    Graves war vermutlich ein Mann, der sich selbst nie mit Mars arrangieren konnte. Wenn man von seinen schrecklichen Erfahrungen während des Ersten Weltkriegs und der Jahre danach hört, in denen er von schmerzhaften körperlichen und unbehandelten psychischen Wunden gequält wurde, wird offensichtlich, dass er unter einer schrecklichen posttraumatischen Belastungsstörung litt. Seine unverheilten Wunden beeinflussten seine Sicht des Kriegsgottes zutiefst, und diese Sicht wird in der heutigen Kultur von vielen geteilt, was daran liegt, dass so viele der gleichen Heilung bedürfen. Trotz Graves’ Beschreibung und unserer eigenen einseitigen Sicht des Mars ist klar, dass die alten Griechen sich immer noch viel vom älteren, ganzheitlicheren Mars oder Ares, wie sie ihn nannten, bewahrt hatten. Die Verbindung zwischen dem Kriegsgott und dem Gott der Gerechtigkeit ist in Athen am Areopag zu erkennen, dem großen Felsen mitten in der Stadt, der auch Hügel des Ares genannt wird. Auf dem Areopag hatten die alten Griechen ihren obersten Gerichtshof, und die Richter hießen Areopagitae.
    Was uns das alles heute sagt, ist, dass es darum geht, Mars seine verlorene Verbindung zur Gerechtigkeit zurückzugeben. Die »Sie und wir«-Perspektive, der wir für mehrere Tausend Jahre gefolgt sind, kommt zu einem Ende. Tatsächlich erreicht hat sie es jedoch noch nicht. Viele in Amerika, einschließlich einiger unserer Politiker, werfen ihre dunklen Schatten immer noch auf das sogenannte Reich des Bösen, »die Achse des Bösen« oder auch die islamischen Länder allgemein, genau wie die es umgekehrt mit Blick auf uns und einige unserer Bruderstaaten tun. Ich werde nie die Bilder der brennenden Ölfelder während des Iran-Irak-Krieges vergessen. Zwei große Nationen, die nutzloserweise zerstörten, was sie in die moderne Welt brachten. Die Bilder waren überall zu sehen. Was heute in Uganda geschieht, ist sofort auch in Sibirien bekannt. Die Menschen in der ganzen Welt sehen sich gleichzeitig dasselbe Fußballspiel an. Meine italienischen Fußballschuhe sind aus argentinischem Leder gefertigt, die Sohlen stammen aus Malaysia, gefertigt wurden sie in China, vertrieben wurden sie durch eine amerikanische Großhandelskette. Die Werbung habe ich in einem japanischen Fernseher gesehen, dessen Teile aus Singapur stammen. Der Schmied, den Cú Chulainn heute verteidigt, ist überall. Wir finden neu zu einem einzigen Stamm zusammen, einem einzigen Volk. [92] Mythologisch gesprochen bedeutet das, dass wir die reinen Kriegsgötter wie Mars wieder zu Göttern des Krieges
und
der Gerechtigkeit machen, wie Teiwaz.
    Es ist jedoch wichtig, daran zu erinnern, dass sich die Informationstechnologie und der internationale Handel weit schneller fortentwickeln als Kultur und Religion. Wir bewegen uns auf eine Welt zu, deren Bevölkerung sich als ein Volk betrachtet, aber wir sind noch nicht so weit, und während der Übergangszeit werden wir uns zunehmend in Kriege verwickelt finden, deren erstes Ziel es ist, eine zivile Ordnung mit einem funktionierenden Rechtssystem wiederherzustellen, oder vielleicht überhaupt erst einzurichten,
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