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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen
Autoren: Laura Lippman
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erfuhr Sunny, dass Tony Dunham ebenfalls regelmäßig Geld von seinem Vater erhalten hatte. Und dass er, wenn er betrunken war, von seinen früheren Vergehen und seiner Heirat erzählt hatte. Er drohte Penelope, dass er sie niemals gehen ließe, dass es ihr dann so erginge wie dem kleinen Mädchen, das er umgebracht habe.
    »Hier. Hier hat er mir ein Büschel Haare rausgerissen«, sagte Penelope und zeigte auf eine kahle Stelle hinterm Ohr. Dann tippte sie sich gegen einen großen dunklen Schneidezahn. »Eine Brücke und keine besonders gute. Der Drecksack hat mich die Treppen runtergeschubst, nachdem ich ihm Kontra gegeben habe. Als ich rausgefunden habe, dass sein Vater Geld für Tonys erste Frau angelegt hat, habe ich mir überlegt, sie zu
besuchen, weil ich mit eigenen Augen sehen wollte, wie viel sie durchgemacht hat, dass sie von Dunham Geld dafür kassiert. Das Einzige, was ich je von Tony gekriegt habe, ist das Versprechen, dass er mich jagen und umbringen wird, wenn ich ihn jemals verlasse. Er verfolgt mich. Sie müssen mir helfen, oder ich gehe zur Polizei und erzähl denen, was ich über Sie weiß. Sie haben einen Mord geheim gehalten, und das ist fast dasselbe, wie jemanden umzubringen.«
    Es hatte fast drei ganze Tage gedauert, aber sie war dann nach Stan Dunhams Methode verfahren und hatte Penelope einen neuen Namen besorgt und dann noch die Dokumente, die sie für ein neues Leben brauchte. Sie hatte außerdem fünftausend Dollar von ihrem Sparkonto abgehoben und sie Penelope gegeben, damit sie von Baltimore aus nach Seattle fliegen konnte. Sie hatte Penelope angefleht, bei einer anderen Fluggesellschaft zu buchen, bei einer, die von Washington oder sonst einem anderen Flughafen abflog, aber Penelope bestand darauf, mit Southwest zu fliegen. »Dort kriegt man ganz schnell Bonusmeilen für Freiflüge zusammen.«
    Deshalb war Sunny das erste Mal nach fast fünfundzwanzig Jahren über den Potomac nach Maryland gefahren. »Den Wagen kannst du ruhig behalten.« Aber das wollte Sunny nicht. Wie sollte sie denn eine alte Blechkiste mit Nummernschildern aus South Carolina erklären? Sie würde den Wagen am Flughafen abstellen, mit dem Zug nach Washington fahren und von dort aus mit der Metro zurück. Aber nachdem sie schon so nah an zu Hause war, was konnte es da schon schaden, ein paar Meilen weiter nach Norden zu fahren und dann erst umzukehren? Als sie sich der Route 70 näherte, kam ihr in den Sinn, Stan zu besuchen, etwas, das sie sich bisher nie getraut hatte, ganz gleich, wie krank er war, denn ein Besuch hätte bedeutet, sich anmelden zu müssen, Spuren zu hinterlassen. Penelope hatte ihr gesagt, dass es ihm schlecht gehe, dass er nicht mehr zurechnungsfähig sei und bald sterben müsse. Wenn man sie
nicht nach ihrem Ausweis fragen würde, könnte sie einen falschen Namen angeben. Oder sie konnte vielleicht in der Algonquin Lane vorbeifahren, um zu sehen, ob es tatsächlich das geliebte Heim ihrer Träume war oder einfach nur eine Bruchbude in einer weniger guten Gegend Baltimores.
    Und dann war der Wagen plötzlich über die Fahrbahn geschlittert, war ihr ihr Leben entglitten, und in ihrer Angst und Verzweiflung war ihr die Wahrheit rausgerutscht, was sie sofort wieder bereute. »Ich bin eine von den Bethanys.« Wenn sie ihnen den Rest auch noch erzählte, würden sie Tony herbeischaffen und sie dazu bringen, vor der ganzen Welt zu gestehen, dass sie Schuld hatte am Tod ihrer Schwester. Außerdem, wer wusste schon, was Tony für Lügen verbreiten, ihr an Gewalt antun würde. Deshalb machte sie Stan, von dem sie ja wusste, dass ihm niemand mehr etwas anhaben konnte, für alles verantwortlich und gab sich als Heather Bethany aus. Heather, die nie etwas Schlimmeres getan hatte, als bei ihrer großen Schwester herumzuschnüffeln und ihr nachzuspionieren. Ihre Ähnlichkeit war schon immer groß gewesen, und es gab nichts von Heather, was Sunny nicht wusste. Es hätte ihr leichtfallen müssen, Heather zu sein.
    In dem Augenblick, in dem sie erfuhr, dass Miriam noch lebte, wusste sie, dass die Sache auffliegen würde. Dennoch versuchte sie, sich eiskalt zu behaupten, versuchte sie, ihnen glaubwürdige Antworten zu liefern, damit sie fliehen konnte, noch bevor Miriam eintraf. Irene war tot und Stan jenseits von Gut und Böse. Wenn sie bereits früher gewusst hätte, dass Tony nicht mehr lebte, hätte sie womöglich nicht so lange gezögert, die ganze Geschichte zu erzählen. Aber Penelope Jackson hatte
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