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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen
Autoren: Laura Lippman
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Dunham hatte nichts weiter als einen Mord verschleiert.
    »Haben Sie manchmal noch …?«, fing Kay an.
    »Nein.«

    »Sie wissen doch gar nicht, was ich fragen wollte.«
    »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass es um Sunny Bethany ging.« Daraufhin errötete Kay, als wäre sie verlegen. »Wir haben keinen Kontakt. Ich glaube, der alte Willoughby meldet sich ab und zu bei ihrer Mutter. Wo wir gerade von ihm reden …«
    Er drehte den Kopf, weil ihm einfiel, dass Willoughby eigentlich auch unter den Gästen sein müsste, und entdeckte ihn im Burlington-Pullover, wie er ausgerechnet mit der Brünetten im knallroten Kleid plauderte. Willoughby hatte ein Auge für hübsche Frauen, wie Infante herausgefunden hatte, seit sie zusammen Golf spielten. Zu seiner Überraschung und auch zu seiner Freude – obwohl er sich das nicht gern eingestand – schien Willoughby Infantes Gesellschaft der der eingebildeten Wichtigtuer in Elkridge vorzuziehen. Letztendlich war er doch mehr Polizist als Schnösel. Zudem war er einer dieser gesitteten Lustmolche, die sich gern im Licht einer hübschen Frau sonnten. Er war vernarrt in Nancy und ging mindestens einmal im Monat mit ihr Mittag essen. Wahrscheinlich war er gerade dabei, die Brünette unter den Mistelzweig zu dirigieren, hatte es auf ein Küsschen auf die Wange abgesehen. »Ich sollte ihm Hallo sagen.«
    »Aber sicher«, sagte Kay. »Geht schon in Ordnung. Aber wenn Sie doch noch was von Sunny hören …«
    »Ja?«
    »Sagen Sie ihr, wie nett ich es von ihr fand, dass sie Grace’ Hose zurückgeschickt hat, gereinigt und geflickt. Ich weiß das zu schätzen.«
    Sie klang verloren, aber auch so, als ob sie sich damit abgefunden hätte, bei Partys alleine rumzustehen. Infante spießte eine Pirogge auf seine Gabel und zog sie durch die saure Sahne – gesegnet seien Nancys polnische Vorfahren. Die Frau wusste, wie man Gäste ordentlich bewirtete. Für ihn waren die Ereignisse vom Frühjahr reine Routine gewesen, aber für Kay
Sullivan musste die Sache mit Sunny unheimlich aufregend gewesen sein, eine völlig neue Situation, bei der sie … na ja, das tat, was Sozialarbeiter im Krankenhaus eben so tun, sich mit medizinischen Formularen herumschlagen, nahm er an.
    »Grace?«, fragte er. »Ist das Ihre Tochter? Wie alt ist sie denn? Ist sie Ihr einziges Kind?«
    Kay strahlte und erzählte ihm bis ins kleinste Detail von ihrer Tochter und ihrem Sohn, während Infante zuhörte und nickte und noch mehr Piroggen aß. Was war schon dabei? Die Brünette würde auf ihn warten.
     
    »¿Cómo se llama?« , fragte der Mann draußen vor dem Laden, und Sunny musste sich schwer zusammenreißen, um nicht auf den Spalt über seinem Mund zu starren. Ihre Mutter hatte sie bereits vor Javier gewarnt, ihr gesagt, dass seine Gaumenspalte anfangs etwas irritierend sei, und Sunny war automatisch davon ausgegangen, dass seine Verunstaltung ihm auch die Sprache genommen hatte. Als sie noch in Virginia mit Reisevorbereitungen beschäftigt war, hatte sie ihn sich als einen Stummen, eine Art Quasimodo, vorgestellt, der sich durch Grunzen und Stöhnen mitteilte.
    Er zeigte sich tapfer und blieb unbeeindruckt, als ihr Blick von seinem Gesicht abglitt, wahrscheinlich gewöhnt an dieses Ausweichmanöver, vielleicht sogar dankbar dafür. Sie wäre es auf jeden Fall. »Es la hija de la Señora Toles, ¿verdad?«
    Wie heißen Sie? Sie sind die Tochter von Señora Toles, stimmt’s? Obwohl Sunny wochenlang spanische Sprachkassetten gehört hatte und mit der Schriftsprache gut klarkam, musste sie jetzt plötzlich alles Wort für Wort übersetzen, sich die Antwort erst in ihrer Muttersprache zusammenbauen und sie dann wieder ins Spanische übertragen, ein wenig effizientes Verfahren. Ihre Mutter hatte ihr gesagt, dass sich das geben würde, falls sie sich zum Bleiben entschließen sollte.
    »Soy« , setzte sie an und verbesserte sich dann. Nicht »Ich
bin«, sondern » Me llamo Sunny«. Was interessierten Javier schon ihre anderen Namen und Identitäten, was in ihrem Führerschein stand und ob das mit dem Namen in ihrem Highschoolzeugnis oder ihrem Pass übereinstimmte. In ihrem Pass und Führerschein stand Cameron Heinz und deshalb auch auf ihren Reiseunterlagen. Mit diesen Papieren hatte sie sich von Flughafen zu Flughafen und von dort zum Taxi bewegt und war schließlich in dieser Straße von San Miguel de Allende gelandet. Sie wiederholte die Wege ihrer Mutter von vor sechzehn Jahren, obwohl Sunny das nicht wissen
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