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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen
Autoren: Laura Lippman
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des Kindes. Wenn überhaupt, hat euer Verschwinden mein Weggehen hinausgezögert. Ich war schon viele Jahre lang unglücklich gewesen.«
    »Aber das ist es ja gerade«, sagte Sunny. »Ich hatte immer in Erinnerung, dass wir eine glückliche Familie waren; dass es dumm von mir war, mich nach etwas anderem zu sehnen. Erinnerst du dich noch daran, wie wir all die Puppenteller im Gebüsch gefunden haben? Wie Daddy zwei Ausgaben von Wo die wilden Kerle wohnen gekauft, dann den Einband aufgebrochen und die Seiten in Heathers Zimmer als Bordüre angeklebt hat, damit man die ganze Geschichte von Max und seiner Reise sehen konnte. Ich fand, das Haus in der Algonquin Lane hatte
etwas Zauberhaftes, aber für dich war es ein Gefängnis. Einer von uns hat unrecht.«
    »Nicht unbedingt«, erwiderte Miriam. »Die Bordüre in Heathers Zimmer war übrigens meine Idee gewesen. Aber wenn ich dir das nicht erzählt hätte, wäre deine Erinnerung falsch? Hätte dein Vater dich dann weniger geliebt? Das glaube ich nicht.«
    Als es schließlich so dunkel war, dass sie nichts mehr sehen konnten, und sie allein im Garten waren, kamen sie auf Stan Dunham zu sprechen. »Dein Vater wäre versucht gewesen, genau das Gleiche zu tun«, sagte Miriam, »wenn du oder Heather so etwas gemacht hätten.«
    »Ich habe …«, setzte Sunny an, aber ihre Mutter ließ sie nicht zu Wort kommen.
    »So sind Eltern nun mal, Sunny. Sie versuchen, die Fehler ihrer Kinder wiedergutzumachen, sie zu beschützen. Kinder können glücklich sein, selbst wenn es ihren Eltern schlecht geht. Aber Mutter oder Vater sind nie glücklicher als ihr unglücklichstes Kind.«
    Sunny ließ sich den Satz durch den Kopf gehen. Sie musste ihre Mutter beim Wort nehmen. Wenn sie irgendwas von sich wusste, dann das: dass sie nicht dafür gerüstet war, Mutter zu sein. Sie machte sich nicht viel aus Kindern. Sie hegte sogar einen starken Groll gegen die meisten, als ob sie ihr Leben gestohlen hätten, so unlogisch das auch klang. Sie war diejenige, die Leben gestohlen hatte, sich Namen und Lebensgeschichten von Mädchen angeeignet hatte, die es nie bis in die erste Klasse geschafft hatten.
    »Dennoch möchte ich glauben, dass dein Vater nie irgendwem solches Leid zugefügt hätte wie Stan Dunham uns«, fuhr Miriam fort. »Du sagst, er war nett zu dir, und dafür bin ich dankbar. Aber ich kann ihm nicht verzeihen, was er uns angetan hat, selbst jetzt nicht, wo er tot ist.«
    »Trotzdem hast du mir verziehen.« Es war die wunde Stelle,
um die sie nicht herumkam, genauso wie sie es nicht geschafft hatte, die Finger damals von der verkrusteten Impfwunde zu lassen.
    »Sunny, du warst damals fünfzehn. Es gibt nichts zu verzeihen. Natürlich mache ich dich nicht dafür verantwortlich. Genauso wenig, wie es dein Vater tun würde, wenn er noch am Leben wäre. Und nein, auch an seinem Tod bist du nicht schuld.«
    »Heather würde mich dafür verantwortlich machen.«
    Hier überraschte ihre Mutter sie, indem sie lachte. »Das könnte gut sein. Wenn Heather erst mal richtig sauer war, dann hielt sie ebenso daran fest wie an jedem Cent. Aber ich glaube, selbst Heather hätte zugeben müssen, dass du ihr nie was Böses wolltest.«
    Einer der Pfauen stieß einen Schrei aus, der sich erschreckend menschlich anhörte. Wollte Heather auch etwas sagen? Heathers Segen wäre Sunny niemals so gewiss, wie es ihre Mutter gern gehabt hätte.
    Aber all diese Gespräche folgten erst später, als sie sich mit Hilfe der Zeit, ihrer gemeinsamen Reise und der Dunkelheit etwas näherkamen. Noch befanden sie sich in dem Laden, immer noch ein wenig fremd und scheu voreinander, als Miriam über die nichtsahnende, übellaunige Kundin hinweg plötzlich eine Grimasse schnitt, die Augen verdrehte und die Zunge herausstreckte. Genau das Gesicht, das ich ziehe, bemerkte Sunny , wenn jemand mal wieder beim Herunterladen das ganze System lahmgelegt hat und ich es wieder richten darf.
    »Ja, genau. Sie kommt nach ihrem Vater«, sagte ihre Mutter. »Sie ist das erste Mal in Mexiko, und wir werden Weihnachten in Cuernavaca, im Las Mañanitas, verbringen.«
    »Selbst wenn Sie mir Geld dafür geben, würde ich nicht nach Cuernavaca fahren«, erwiderte die Frau. »Und das Las Mañanitas ist überteuert.« Sie stieß sich von der Theke ab, als sei ihr ein üppiges Mahl nicht bekommen, und verließ schwerfällig und grußlos den Laden.

    »Wenn man sich mal vorstellt«, sagte Miriam und kam hinter der Theke hervor, um Sunny in die Arme
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