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Was die Seele krank macht und was sie heilt

Was die Seele krank macht und was sie heilt

Titel: Was die Seele krank macht und was sie heilt
Autoren: Thomas Schäfer
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Märchen »Hans im Glück« hat oft ein Großvater sein Vermögen verloren. Man kann den Opa innerlich bitten: »Bitte segne mich, wenn ich es behalte.« Bei dem Märchen »Der Wolf und die sieben Geißlein« sagt die Mutter zu den Kindern: »Hütet euch vor dem bösen Papa!« »Rotkäppchen« stellt die Verführung des Kindes durch den Vater der Mutter dar. In der Praxis kann es sich auch um einen anderen älteren Verwandten handeln. »Sterntaler« und »Der fliegende Robert« sind häufig die Skriptgeschichten von Magersüchtigen. In »Dornröschen« geht es um die vom König nicht eingeladene Fee, die systemisch wahrscheinlich eine von ihm nicht gewürdigte frühere Frau darstellt, die vom Kind vertreten wird.
    Das Märchen vom »Rumpelstilzchen« ist weniger eine systemische Geschichte als ein Trauma-Skript. Das Märchen schildert die Erfahrung, keine Mutter zu haben und vom Vater weggegeben worden zu sein. In der nächsten Generation gibt dann oft die Tochter ihren Sohn weg. Wenn jemand diese Skriptgeschichte angibt, kann man ihn fragen, ob er oder ein anderes Kind in der Familie weggegeben worden ist. Möglicherweise kommt heraus, daß er sich wie dieses weggegebene Kind fühlt.
    Ein Beispiel für ein Stück aus der Weltliteratur: Bei Goethes »Faust« geht es, zumindest wenn es die Skriptgeschichte einer Frau ist, um die Frage: »Welcher Mann hat welche Frau hereingelegt?«
    Nach Hellingers Erfahrung ist eine Geschichte, wenn sie für jemanden ein Skript ist, wörtlich zu nehmen. Ein Seminarteilnehmer gab als Skript den mythischen Helden Odysseus an. Der Mann hatte eine Freundin, deren Vater ihm ein Boot gegeben hatte. Mit diesem Boot verließ er die Freundin wie Odysseus die geliebte Nymphe Calypso und segelte nach Afrika.
    Ein anderer Seminarteilnehmer war schon immer von Othello begeistert. Doch Othellos Geschichte kann man als kleines Kind noch nicht erlebt haben, und Hellinger fragte den Mann: »Welcher Mann aus deiner Familie hat aus Eifersucht jemanden umgebracht?« (OL: 499). Es war der Großvater gewesen. Nachdem seine Frau ihm untreu gewesen war, hatte er ihren Liebhaber erschossen. Seit dieser Zeit stellt sich Hellinger bei Skriptgeschichten immer die Frage, ob sie sich auf persönliche Erlebnisse beziehen, zum Beispiel auf Kindheitstraumata wie beim »Rumpelstilzchen«, oder auf Erlebnisse anderer Familienangehöriger.
    Auch Hellingers Sicht von Träumen hat sich durch die Arbeit mit Skriptgeschichten verändert. Alpträume oder andere Träume haben manchmal einen Bezug zu Erlebnissen, die ein Familienmitglied gehabt hat. In der Jungschen Psychoanalyse werden Traumfiguren, wie zum Beispiel ein Mörder oder eine andere negativ besetzte Figur, der eigenen Person zugeordnet. Man spricht hier vom »Schattenaspekt«, den der Traum deutlich macht. Der Schatten repräsentiert gut verborgene negative Anteile der eigenen Psyche.
    Daß es ganz andere Deutungsmöglichkeiten gibt, wurde mir in einem Traumseminar klar. Ein depressiver und selbstmordgefährdeter Teilnehmer erzählte von Alpträumen, die ihn schon seit vielen Jahren plagten. Meist sah er zwei oder drei Männer, die an einem Galgen baumelten. Auch in seinem letzten Traum kurz vor Seminarbeginn träumte er, daß er einen Galgen besteigen müsse, an dem schon drei tote Männer hingen. Er hatte ein Messer in der Hand, mit dem er die Leichen abschneiden wollte. Es war im Traum ein sowohl psychisch als auch physisch anstrengendes Unterfangen, den Galgen erklettern zu müssen. Nichts, so sagte er, sei ihm im Traum so wichtig gewesen, wie diese Leichen endlich »zu befreien«.
    Beim Hochkletttern sah er zu seinem Erstaunen in einiger Entfernung seinen Psychoanalytiker, der ihm zusah. Der Mann sah den Analytiker an und sagte zu sich selber: »Er ist ein Versager!« Schließlich rief er dem Analytiker zu: »Du kannst mir nicht helfen!« Kurz bevor er nah genug an die Leichen herangekommen war, um sie abschneiden zu können, erwachte der Mann schweißgebadet im Bett.
    Auf mein Nachfragen erzählte der Mann, daß sich in seiner Familie eine Reihe von Männern umgebracht hatten. Sein Psychoanalytiker, zu dem er schon seit mehreren Jahren regelmäßig ging, hatte immer wieder versucht, den Alptraum mit den Leichen auf der personalen Ebene zu deuten. Doch mit den Kindheitserlebnissen des Mannes waren diese Träume einfach nicht zu erklären. Der Mann selber hatte dem Analytiker in der psychotherapeutischen Sitzung gesagt, daß die Ursache wohl eine andere sein
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