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Was die Seele krank macht und was sie heilt

Was die Seele krank macht und was sie heilt

Titel: Was die Seele krank macht und was sie heilt
Autoren: Thomas Schäfer
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Person stand, sagte sie: »Ich muß meinen Vater stabilisieren, damit er bleibt.« Der Vater war des Lebens müde gewesen. Ihn zog es in der Aufstellung mit aller Kraft zu seiner Mutter (der Großmutter der Klientin), die er in seinem sechsten Lebensjahr plötzlich verloren hatte.
    Wie intensiv Kinder an der Situation ihrer Eltern Anteil nehmen, zeigt auch ein anderes Beispiel: Ein verheirateter Mann, Vater von zwei Kindern, war überrascht, daß er nach dem Ergebnis einer Familienaufstellung mit Symbolen selbstmordgefährdet war. Der Mann fühlte sich weder krank noch lebensmüde. Doch in der Aufstellung war er auf mehrere Mitglieder der Herkunftsfamilie ausgerichtet, die sich umgebracht hatten oder früh gestorben waren. Seine Söhne standen ihm gegenüber und wollten den Vater daran hindern, daß er geht.
    Wochen nach der Aufstellung erzählte mir der Mann, daß er eines Morgens den Jüngsten aus dem Bett holen wollte. Als der Vater ins Kinderzimmer trat, erwachte das Kind gerade und sagte: »Papa, du darfst noch nicht sterben. Papa, geh nicht weg.« In der Folge kam dem Klienten dann zum Bewußtsein, daß er tatsächlich seit vielen Jahren selbstmordgefährdet war. Doch hatte er es nicht wahrhaben wollen.
    Die Bindungsliebe eines Kindes an die Eltern geht nicht selten bis zum Äußersten: Ein Vater bestrafte seinen Sohn, weil dieser trotzig war, und in der darauffolgenden Nacht erhängte sich das Kind. Noch im Alter trug der Mann schwer an seiner Schuld. Im Gespräch mit einem Freund erinnerte er sich, daß dieses Kind nur wenige Tage vor seinem Selbstmord bei einer bedeutenden Szene zugegen war und darauf reagiert hatte. Bei Tisch hatte die Mutter erzählt, daß sie wieder schwanger war. Das Kind hatte wie außer sich gerufen: »Um Gottes willen, wir haben doch keinen Platz!« Und der schon alte Vater begriff: Das Kind hatte sich geopfert, um den Eltern ihre Sorgen abzunehmen. Der Sohn hatte für sein neues Geschwister Platz gemacht. (MFL: 82)

Die Ordnung

    Allein der Klang des Wortes »Ordnung« mag bei manchem unangenehme Erinnerungen wecken. Man denkt vielleicht an Aufräumen, Disziplin in der Schule oder am Arbeitsplatz, Unterwerfung, starre Regeln. Bei den Zahlen sichert die natürliche Ordnung, daß ehr Eins nicht nach, sondern vor der Zwei kommt, so wie diese wiederum vor der Drei steht. Wenn man diese Ordnung durcheinanderbringt, entsteht Chaos. Auch in Familiensystemen gibt es eine Ordnung. Unabhängig davon, ob wir die Ordnung kennen oder nicht, ist sie vorhanden und wirkt. Zur Ordnung gehört die Rangordnung - wieder ein scheinbar »schlimmes Wort«. In der Familie ist die Ordnung durch die Zeit begründet, dadurch, ob jemand früher oder später kam. Eltern haben auf diese Weise Vorrang vor den Kindern. Wenn man diese natürliche Ordnung umkehrt, entsteht, genau wie bei den Zahlen oder dem Alphabet, ein heilloses Durcheinander.
    In unserem Alltag können wir die Bedeutung des Früher oder Später ständig erleben. Wenn wir an einem Arbeitsplatz oder in einem Verein Neuling sind, werden wir zunächst zurückhaltend sein. Denen, die schon länger dabei sind, fällt es unangenehm auf, wenn ein Neuling sich sofort die gleichen Rechte herausnimmt.
    Die Ordnung verlangt auch, daß ein totgeschwiegenes uneheliches Geschwister oder ein totgeborenes Kind offen dazugehören dürfen. Ein Beispiel: Ein junger Mann aus dem arabischen Kulturraum war permanent krank und fühlte sich schlecht, doch kein Arzt konnte helfen. Es stellte sich heraus, daß in seinem Familiensystem ein Bruder nicht offen dazugehören durfte. Er wurde vom Klienten vertreten. Der Bruder war geistig behindert gewesen und verstarb im Alter von drei Jahren. Das nächste Kind war der Klient. Er erhielt den Namen und die Personalpapiere des toten Bruders. Immer fühlte er sich älter, und die Wirklichkeit bestätigte ihm das auch. Er wurde zu früh eingeschult und erhielt auch den Führerschein vor dem Mindestalter. Die Lösung verlangt hier, daß der Tote offen zum System dazugehören darf und als eigenständiges Wesen betrachtet wird. In der Aufstellung sagte der Klient zu seinem Bruder: »Lieber Mustafa, du bist mein drei Jahre älterer Bruder. In meinem Herzen hast du einen Platz. Bitte schau freundlich auf mich, wenn ich bleibe.« Die Zugehörigkeit zum Familiensystem verspielt dagegen ein Mörder; allerdings gibt es auch Ausnahmen.
    Ein anderer Verstoß gegen die natürliche Ordnung liegt beispielsweise vor, wenn eine zweite Ehefrau auf
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