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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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sie ans Licht kommt.
    Dazu gehört auch die Antwort auf die Frage, die oft am schwersten zu beantworten ist: Warum ein Mensch etwas getan hat. Mit absoluter Gewissheit können wir das nie sagen, sei es, weil der Täter seine Motive nicht preisgeben will oder weil er sie selbst nicht genau benennen kann. Aber immerhin werden wir der Wahrheit in diesem Fall sehr nahekommen. Und das wird bedeuten, Dinge zu erfahren, die man vielleicht nicht glauben will. Zum Beispiel: Ist ein Teenager imstande, so etwas zu tun?
    Später wird die Mutter fragen: »War es Nils?«
    Die Kollegen aus einer Kleinstadt in der Umgebung haben unser Team zur Unterstützung gerufen. Die dortige Polizei beschäftigt weder eigene Psychologen noch Fallanalytiker. Also werden zwei Kolleginnen und ich vom Hamburger LKA abgestellt, denn hier scheint dringender Bedarf an einer Fallanalyse.
    In Kriminalfilmen werden Fallanalytiker gerne »Profiler« genannt – eine Bezeichnung, die wir wenig schätzen. Die Profiler in Filmen oder Romanen glänzen oft mit einer nahezu magischen Intuition, dank derer sie nach einer »Séance« im Schlafzimmer des Opfers das Alter, den Beruf und die Kindheitsgeschichte des Täters »erspüren«. Dabei geht es bei der operativen Fallanalyse genau um das Gegenteil: Fallanalytiker befassen sich nur mit den objektiven Daten.
    Sie fügen die Details zusammen und schaffen ein Bild, das zwar selten alles erklären kann, aber Hypothesen darüber ermöglicht, was vorgefallen ist. Diese basieren nicht auf irrtumsanfälligen Zeugenaussagen oder Geständnissen, von denen man nie weiß, ob sie nicht geschönt oder zumindest unvollständig sind. Das Material, mit dem ein Fallanalytiker arbeitet, ist unwiderlegbar: nur jene Zeugenaussagen, die als absolut gesichert gelten, etwa weil mehrere Personen das Gleiche geschildert haben, vor allem aber die Spuren am Tatort, etwa Blutspritzer, Speichel, Haare, Kleidungsfasern oder zerbrochene Gegenstände, außerdem die Verletzungen des Opfers. Am Ende der Rekonstruktion stehen manchmal mehrere Hypothesen, aber wir wissen: Nur in einer dieser Varianten kann die Tat geschehen sein.
    Diese Arbeit wird im Fall »Denise« sehr wichtig werden.
    Der Fall beginnt an einem Augusttag um 19 Uhr mit dem Anruf der besorgten Mutter bei der Polizei. Ihre Tochter sei nicht zum Abendessen erschienen, sagt die Frau, dabei sei Denise absolut zuverlässig. Die Mutter ist sehr aufgewühlt. Kurz darauf finden zwei Jugendliche das Rad des Mädchens in einem Gebüsch. Sofort wird eine Suchaktion eingeleitet. Die Familie wohnt in einer Hochhaussiedlung. Zahlreiche Polizeibeamte, Nachbarn und eine Hundestaffel durchkämmen die Gegend. Sie suchen auf dem Dachboden, sie durchstöbern das Gebüsch in der Umgebung und selbst in den Waschmaschinen im Keller schauen sie nach.
    Sie finden nichts.
    Am Anfang solcher Fälle steht die Ungewissheit: Was könnte vorgefallen sein? Die Vermisste könnte davongelaufen sein, es könnte ein Unfall geschehen sein, oder sie ist Opfer eines Verbrechens geworden, sie könnte irgendwo gefangen gehalten werden, tot sein. Selbst einen Suizid können wir nicht ausschließen, auch wenn er bei einem Kind unwahrscheinlich ist. Der Polizei bleibt erst mal nichts übrig, als in alle Richtungen zu suchen und zu ermitteln.
    Die Beamten befragen sofort die Mutter. Ja, es habe einen kleinen Streit gegeben, weil die Tochter ihr Zimmer nicht aufgeräumt hat, sagt sie, aber Denise würde wegen einer solchen Lappalie nicht davonlaufen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter beschreibt sie als sehr eng und liebevoll. Auch mit dem Lebensgefährten der Mutter habe Denise keine Probleme gehabt, nein, die Mutter kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ihre Tochter abgehauen ist, sie ist erst sechs! In der Zwischenzeit klären Beamte die einschlägig bekannten Sexualstraftäter im Umkreis ab, Männer, die bereits wegen Delikten an Kindern vorbestraft sind. Die Polizisten klingeln an der Tür, sagen, dass ein Mädchen verschwunden ist, fragen, ob sie mal reinkommen dürfen. Aber keiner der Besuchten ist diesmal auffällig, etwa indem er den Zugang verweigert oder in seiner Wohnung Spielzeug herumliegen hätte.
    Die Nachbarn werden gefragt, ob sie etwas Außergewöhnliches bemerkt haben. Wann sie das Mädchen zum letzten Mal gesehen haben. Wir finden keine brauchbaren Hinweise. Es ist schon kurz nach Mitternacht, als der Chef der Kripo beschließt, mit der Mutter persönlich zu sprechen. Der
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