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Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)

Titel: Warum Menschen töten: Eine Polizeipsychologin ermittelt (German Edition)
Autoren: Claudia Brockmann
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Einsatzleiter hat ihn über die Suche informiert, und nun will der Chef der Mutter noch mal versichern, dass alles Erdenkliche unternommen werde. Er fragt sie: »Haben Sie eine Idee, was passiert sein könnte? Manchmal hat man ja so eine Ahnung.« Da sagt die Mutter: »Nun ja, Nils hat sich sehr sonderbar verhalten. Nils würde ich viel zutrauen.«
    So haben wir Denise gefunden. Und so ist es gekommen, dass die Mutter nun im Präsidium sitzt mit dem Nachthemd in der Hand.
    Ich habe dem Kripochef zuvor geraten: »Mach es kurz. Nur vier Sätze.« Und: »Sag ihr dann alles, was sie wissen will. Sag ganz klar die Wahrheit.« Ich nenne es das psychologische Recht auf die Realität, das jeder Mensch hat. Wir dürfen uns nicht anmaßen, für jemanden zu entscheiden, was er ertragen kann und was nicht. Nur wenn ein Mensch die Wahrheit kennt, kann er sie verarbeiten.
    Manche fangen zu schreien an, manche weinen stumm, manche toben, manche machen sich Vorwürfe, manche beschimpfen die Polizei. Ich habe Menschen gesehen, die hysterisch lachen. Und Menschen, die reagieren, als hätte man ihnen gerade den Wetterbericht vorgelesen, die scheinbar gleichgültig nicken, und wenn man sie fragt, ob sie verstanden haben, sagen sie »ja, ja, sie ist tot«, als sei es das Normalste der Welt. Jeder braucht seine Zeit, um zu begreifen, und jeder hat seine eigene Art, den ersten Schmerz zu verarbeiten. Das Beste, was wir als Überbringer tun können, ist klar zu sagen, was geschehen ist – und dann müssen wir damit umgehen, wie derjenige reagiert.
    Als die Mutter ihm ein paar Stunden zuvor von Nils erzählt hat, ist der Kripochef hellhörig geworden. Nils ist ein Teenager, der große Bruder von Denises bester Freundin Mona und lebt in der gleichen Siedlung. Denise himmelt Nils regelrecht an. Ihre Mutter allerdings traut dem Jungen nicht über den Weg. Ständig würde Nils lügen. So soll Nils ihr an diesem Abend erzählt haben, dass er mit Denise noch gesprochen hat, bevor sie verschwunden ist. Sie habe mit dem Rad zu einem Freund im Nachbarort fahren wollen. Wütend hatte die Mutter ihn stehen lassen, weil es unvorstellbar ist, dass Denise am Abend noch in den Nachbarort wollte. »Man kann diesem Jungen kein Wort glauben«, hat Denises Mutter zum Kripochef gesagt. »Er müsste doch auch bei Ihnen bekannt sein.«
    Er ist es: Nils Wagner, 18 Jahre alt. »Diebstahl« und »Sachbeschädigung« stehen in der Akte und »Tierquälerei«. Bei der Einsatzbesprechung hat eine Beamtin von den Aussagen berichtet, die der Junge am Abend gemacht hatte. Als der Kripochef mir nun die Akte reicht, nicke ich nur: »Rote Flaggen.« So nennt man die psychologischen Alarmsignale, die einem beim Blick in Akten oder Vernehmungsprotokolle ins Auge stechen. Tierquälerei ist eine solche »rote Flagge«. Sie zählt zu jenen Delikten, die auffällig häufig in den Biographien von Gewaltverbrechern vorkommen. Manchmal ist sie eine Vorstufe zur Gewalt gegenüber Menschen, Ausdruck von fehlendem Mitgefühl und großem Machtbedürfnis, auch von Sadismus. So wie Brandstiftung. Auch hier zeigt sich ein zerstörerisches Machtbedürfnis. Wie beim Quälen von Tieren können manche Menschen richtiggehend sexuell erregt werden, wenn sie ein Haus in Flammen gesetzt haben.
    Nils wurde erwischt, als er eine Katze mit Nadeln malträtierte. Wir in der Runde blicken uns an. Unser Gefühl wird nicht besser. Er hat sich bei der Suche als auffällig engagiert hervorgetan, obwohl er sonst nicht als hilfsbereit gilt. Seiner Aussage nach müsste Nils der letzte Zeuge gewesen sein, der Denise lebend gesehen hat. Um 18:25 Uhr sei er Denise im Treppenhaus begegnet. Sie habe »zickig wie ein kleines Mädchen« auf ihn gewirkt, sei sauer gewesen, da sie ihr Zimmer aufräumen sollte. Ja, man habe ein wenig »Smalltalk« geführt. Er habe sie noch aufgefordert, nach Hause zu gehen, aber sie habe unbedingt mit dem Rad zu einem Freund im Nachbarort fahren wollen. Der sei »schon mehr als nur ein Freund«, habe Denise gesagt. Auf dem Weg dorthin hätte sie durch ein kleines Waldstück fahren müssen, sagte Nils dann noch, dort hätte sie jemand leicht vom Rad ziehen können. Die Beamtin notierte seine Aussage, aber maß ihr noch keine große Bedeutung bei.
    Jetzt, nachts im Polizeipräsidium, tun wir das durchaus. Diese Wortwahl? Was meint er mit »Smalltalk«? Schäkern? Flirten? Mit einer 6-Jährigen? Die noch dazu jemanden besuchen wollte, der »schon mehr als nur ein Freund« ist? Es ist
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