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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut
Autoren: Eva Illouz
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Beispiele. Talia ist eine 42jährige Wissenschaftlerin mit zwei Kindern; sie arbeitet an einer großen amerikanischen Universität an der Westküste. Nachdem sie mir erzählt hat, wie sie eine außereheliche Affäre mit einen Mann beendete, fügt sie hinzu:
     
    TALIA : Das war schmerzlich, wissen Sie, ich habe mich mit dieser Entscheidung gequält, aber ich habe auch das Gefühl, daß ich aus dieser Geschichte für mich wichtige Dinge mitgenommen habe.
    INTERVIEWERIN : Was für Dinge?
    TALIA : Er war, beziehungsweise er ist, ein sehr berühmter Akademiker. Alle Welt hat großen Respekt vor ihm. Bevor ich ihn kennenlernte, war ich dieses unsichtbare, unbedeutende Ding, das niemand beachtete. Ich empfand mich immer als die Dümmste im Raum. Aber als er sich für mich entschied, als wir diese Affäre hatten, hatte ich das Gefühl, zu einer ganz besonderen Person geworden zu sein, ich kam mir buchstäblich intelligenter vor, und ich konnte auf Leute zugehen, an die das Wort zu richten ich vorher nie gewagt hätte, ich konnte mich mit ihnen unterhalten und mich als ihresgleichen fühlen. Selbst jetzt, wo es aus ist, glaube ich, etwas sehr Wichtiges über mich gelernt zu haben, denn wenn er mich für etwas Besonderes halten konnte, dann empfand ich mich auch als etwas Besonderes. Ich hatte nicht mehr soviel Angst vor anderen Menschen.
    INTERVIEWERIN : Weil er Sie geliebt hat?
    TALIA : Ja, weil er mich geliebt hat.
    Augenblick, also, ich weiß nicht einmal, ob er mich geliebt hat, manchmal fühlte ich mich geliebt, manchmal war ich mir nicht so sicher, aber ich fühlte mich begehrt, ich bin sicher, er begehrte mich wahnsinnig. Also ja, weil er mich begehrt hat.
     
    226 In einem 2010 in der New York Times erschienenen autobiographischen Essay über die Liebe schildert Laura Fraser das Ende einer Begegnung mit einem Mann in Italien, nachdem ihr Ehemann sie verlassen hatte. »Wir trennten uns am vierten Tag im Bahnhof von Neapel. Ich prägte mir sein Gesicht ein und fühlte mich zugleich beraubt und voller Hoffnung. Ich war mir sicher, daß ich ihn nie wiedersehen würde, aber ich war glücklich darüber, daß er mir das Gefühl zu geben vermocht hatte, begehrt zu sein.«  [36] Hier triumphiert das Gefühl, begehrenswert zu sein, über das Gefühl des schmerzlichen Verlusts aufgrund ihrer »gescheiterten Ehe«, gerade weil die Liebe im Zentrum der Problematik von Wert und Anerkennung angesiedelt ist.
    Liebe und Begehren sind hier Knoten in einer sozialen Kette, in der eine Form emotionaler Energie in eine andere konvertiert werden kann. Weil die Erfahrung der Liebe eine Antwort auf die Frage des Wertes gibt, verfügt die Liebe in der Moderne über die Fähigkeit, sozialen Wert zu produzieren und zu stabilisieren. Wie Axel Honneth gezeigt hat, ist die Liebe der paradigmatische Fall für die Stiftung von »Anerkennung«, einem zugleich psychologischen und soziologischen Prozeß.  [37] Niemals wirklich nur privat oder nur öffentlich, vergewissert sich das moderne Selbst seines Werts durch Prozesse, die zugleich psychologisch und soziologisch, privat und öffentlich, emotional und rituell sind. Eindeutig also sind es das Selbst, seine Gefühle, seine Innerlichkeit und vor allem die Art und Weise, wie diese von anderen anerkannt (oder nicht anerkannt) werden, die in modernen erotischen/romantischen Beziehungen auf dem Spiel stehen.
227 Anerkennung und ontologische Unsicherheit in der Moderne
    Und doch ist es die Rolle der Anerkennung selbst, die auch ontologische Unsicherheit hervorruft. Das Bedürfnis nach dem, was Marion » assurance« (Zusicherung, Gewißheit)  [38] nennt, gewinnt an Heftigkeit und Dringlichkeit, wenn die Voraussetzungen, um Anerkennung zu erlangen, unsicher und schwach sind. Tatsächlich ist die moderne kulturelle Obsession mit der »Selbstachtung« nichts weiter als ein Ausdruck der vom Selbst erfahrenen Schwierigkeit, Anker ontologischer Sicherheit und Anerkennung zu finden.
    Der Übergang von der vormodernen zur modernen Partnerwahl ist ein Übergang von öffentlich geteilten Bedeutungen und Ritualen – bei denen Mann und Frau einer gemeinsamen sozialen Welt angehörten – zu privaten Interaktionen, in denen das Selbst eines anderen anhand vielfältiger und flüchtiger Kriterien wie physischer Attraktivität, Gefühlschemie, »Vereinbarkeit« der Geschmäcker und psychologischer Veranlagung beurteilt wird. Die Veränderungen, denen die Liebe in der Moderne unterlag, haben folglich mit
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