Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut
Autoren: Eva Illouz
Vom Netzwerk:
Müller-Seidel u. Hinrich C. Seeba, Bd. 2, Frankfurt/M. 1987, S. 224.
Mein Wert erfüllt mit Zweifeln mich, / Sein Vorzug läßt mich Ängste haben, / Da, nimmt man beides im Vergleich, / Bescheid'ner wirken meine Gaben // Daß ich nicht ungenügend bin / Für seine so geliebte Not, / In meinem Liebesglauben / Der Sorge oberstes Gebot. // Drum ich, das irdische Gefäß / Für seinen auserwählten Geist / Gleich meine Seele einer Kirche an / Daß sie der Gnade voll sich auch erweist.
208 Warum Liebe guttut
    Vielen Philosophen galt die Liebe als eine Form von Wahnsinn;  [5] doch handelt es sich um eine eigentümliche Form von Wahnsinn, die ihre Macht daraus bezieht, das Ich aufzuwerten und mit einem gesteigerten Gefühl seiner eigenen Macht auszustatten. Die romantische Liebe wertet das Selbstbild durch die Vermittlung des Blicks eines anderen auf. Um einen der Klassiker zu diesem Thema zu zitieren, Goethes Leiden des jungen Werther : »Mich liebt! – Und wie wert ich mir selbst werde, wie ich – dir darf ich’s wohl sagen, du hast Sinn für so etwas – wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt!«  [6] Wenn man liebt, wird der andere zum Gegenstand unkritischer Beachtung, wie David Hume mit trefflicher Ironie feststellt: »Jemand, der in sinnlicher Begierde entbrannt ist, fühlt wenigstens eine vorübergehende freundschaftliche Gesinnung für den Gegenstand derselben und hält ihn gleichzeitig für schöner als sonst.«  [7] Simon Blackburn merkt an: »Liebende sind nicht wirklich blind: Sie sehen durchaus die Cellulitis, die Warzen und das Schielen des anderen, das Merkwürdige ist nur, dass sie sich nicht nur nicht daran stören, sondern es vielleicht sogar bezaubernd finden.«  [8] Solche Versöhnlichkeit wohnt der Liebe inne und führt dazu, daß das Liebesobjekt sich selbst (zeitweilig) deutlich mehr schätzt. Auch Freud war von der Tatsache beeindruckt, daß sich das erotische Phänomen durch 209 eine eigentümliche Art der Wertschätzung auszeichnet: »Im Rahmen dieser Verliebtheit ist uns von Anfang an das Phänomen der Sexualüberschätzung aufgefallen, die Tatsache, daß das geliebte Objekt eine gewisse Freiheit von der Kritik genießt, daß alle seine Eigenschaften höher eingeschätzt werden als die ungeliebter Personen oder als zu einer Zeit, da es nicht geliebt wurde.«  [9] Für Nietzsche ist es nicht der Umstand, daß man Gegenstand der unkritischen Aufmerksamkeit eines anderen ist, die das eigene Selbstwertgefühl erhöht, sondern der bloße Akt des Liebens, der die eigene Lebensenergie steigert: » [M]an scheint sich transfigurirt, stärker, reicher, vollkommener, man ist vollkommener   …  […] Und nicht nur daß sie das Gefühl der Werthe verschiebt   … Der Liebende ist mehr werth, ist stärker.«  [10] Und Simon Blackburn stellt fest, daß
     
    die Liebenden nicht nur den Gegenstand ihres Verlangens, sondern auch sich selbst in ihrer eigenen Einbildung erfinden, etwa so, wie man sagt, dass es Menschen Halt gibt, wenn sie Stützpfeiler anschauen, und dass sie hin und her schaukeln, wenn sie sich vorstellen, auf See zu sein. Die Dichtung beziehungsweise Vorstellung kann Besitz von der eigenen Person ergreifen, und für einen Augenblick zumindest sind wir, was zu sein wir uns einbilden.  [11]
    Ganz gleich, ob das Hauptgewicht auf die Abwesenheit von Kritik oder die mit dem Akt des Liebens verbundene Lebensenergie gelegt wird, scheint Übereinstimmung zu herrschen, daß verliebt sein heißt, ein Gefühl gewöhnlicher Unsichtbarkeit zu überwinden und ein Gefühl der Einzigartigkeit sowie ein gesteigertes Selbstwertgefühl zu empfinden.
    210 Daß die Liebe zu einer Steigerung des Selbstgefühls führt   – indem man unkritisch geliebt wird und liebt –, scheint somit in einer Vielzahl unterschiedlicher soziohistorischer Kontexte zum Kernbestand des Liebesgefühls zu gehören. Dennoch behaupte ich, daß das von der Liebe verliehene Selbstwertgefühl in modernen Beziehungen von besonderer und akuter Bedeutung ist, gerade weil der moderne Individualismus mit der Schwierigkeit zu kämpfen hat, ein Selbstwertgefühl zu begründen – und weil der Zwang, sich von anderen zu unterscheiden und ein Gefühl von Einzigartigkeit auszubilden, mit der Moderne erheblich zugenommen hat. Anders gesagt: Welche subjektive Bestätigung die Liebe in der Vergangenheit auch immer geboten haben mag, spielte diese doch keine gesellschaftliche Rolle und stellte keinen Ersatz für eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher