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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut
Autoren: Eva Illouz
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Selbstwertgefühl herstellen müssen, ist das Ergebnis eines langen Transformationsprozesses der Gesellschaftsstruktur und Geselligkeit in Westeuropa. Seit dem 17. Jahrhundert kodifizierten sowohl der Adel als auch das Bürgertum in Salons, Höfen, Konversationslehren und Benimmbüchern unentwegt neue Verhaltensformen, die darauf abzielten, durch Gesichtsausdruck, Gebaren und Sprache andere in richtiger Art und Weise als Personen anzuerkennen und ihnen Ehrerbietung entgegenzubringen. Solches Verhalten unterscheidet sich von der Ehrerbietung, die man anderen entgegenbrachte, um speziell ihr Ehrgefühl zu wahren, weil sich der soziale Wert zunehmend vom a   priori zugeschriebenen Status ablöste. Mit anderen Wor 223 ten: Anerkennung als das implizite Gebot, einer anderen Person unabhängig von ihrem Status einen Wert als Person innerhalb und mittels sozialer Interaktionen zuzuschreiben, ist ein integraler Bestandteil der Entstehungsgeschichte der Moderne. Auf theoretischer Ebene hat Axel Honneth die Bedeutung der Anerkennung in zwischenmenschlichen Beziehungen maßgeblich herausgearbeitet und zur Geltung gebracht. (Er verwendet den Terminus »Anerkennung« jedoch in einem breiteren Sinne, als ich es hier tue.) Gemäß seiner Definition ist Anerkennung ein fortlaufender gesellschaftlicher Prozeß, der darin besteht, »Personen in einem positiven Verständnis ihrer selbst« zu bestärken. Weil das »normative Selbstbild eines jeden Menschen  […] auf die Möglichkeit der steten Rückversicherung im Anderen angewiesen ist«,  [33] schließt Anerkennung die Bestätigung und Bestärkung der Ansprüche und Positionen des anderen auf kognitiver wie auf emotionaler Ebene ein. Anerkennung ist jener Prozeß, in dem die eigene soziale Geltung und der eigene soziale Wert kontinuierlich im Rahmen und vermittels unserer Beziehungen mit anderen begründet werden. Folglich führe ich die Macht der romantischen Liebe in der Moderne im Unterschied zum Großteil der Forschungsliteratur, die diese Macht mit der Ideologie des Individualismus erklärt,  [34] auf die grundlegendere Tatsache zurück, daß die Liebe einen starken Anker für die Anerkennung – die Wahrnehmung 224 und Konstitution von jemandes Wert – bietet, und dies in einer Zeit, in der die soziale Geltung sowohl ungewiß ist als auch permanent ausgehandelt wird. Warum ist das so? Warum kann die Liebe etwas bewirken, wozu andere Empfindungen weniger in der Lage sind? Eine mögliche Erklärung dafür kann ich anbieten.
    Einsichten Emile Durkheims und Erving Goffmans verbindend, behauptet Randall Collins, daß soziale Interaktionen als Rituale funktionieren, die emotionale Energien erzeugen; diese wiederum binden Akteure aneinander oder trennen sie voneinander.  [35] Die emotionalen Energien werden auf einem Markt ausgetauscht, der auf emotionalen (statt rein kognitiven) Verhandlungen basiert. Das Ziel des sozialen Austauschs besteht darin, emotionale Energien zu maximieren. Die Akkumulation erfolgreicher Interaktionsrituale verschafft emotionale Energien, die sich gewissermaßen in eine Ressource verwandeln, aus der wir Nutzen ziehen, zum Beispiel andere dominieren, und weiteres Sozialkapital bilden können. Gefühle – und speziell emotionale Energie – sind somit die Quelle positiver Ketten von Interaktionsritualen, aus denen sich wiederum in anderen, nicht ausschließlich emotionalen Bereichen Kapital schlagen läßt. Emotionale Energie, die in rein »sozialen« Bereichen (Freunde oder Familie) akkumuliert wurde, kann gewissermaßen als Übertrag in andere Bereiche transferiert werden, etwa den ökonomischen. Was Randall Collins als emotionale Energie bezeichnet, ist somit eigentlich die Folge einer angemessen betriebenen Anerkennung; die in einem Bereich angesammelte Anerkennung wird auf einen anderen Bereich übertragen. Während Collins nicht danach fragt, ob manche Interaktionsrituale wichtiger sind als andere, behaupte ich, daß die Liebe ein zentrales Bindeglied – für manche 225 vielleicht das zentrale Bindeglied – in der langen Kette der Interaktionsrituale ist. Das heißt, die romantische Liebe nimmt eine Schlüsselstellung in der Anerkennungsordnung ein, durch die in der Moderne einer Person in Ketten von Interaktionsritualen soziale Geltung zuwächst. Der Grund hierfür ist, daß die Liebe die intensivste und totalste Weise ist, emotionale Energie zu erzeugen, eine Folge der durch sie bedingten Aufwertung des Ich. Hierfür im folgenden zwei
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