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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut
Autoren: Eva Illouz
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durch wiederholte Rituale gewährleistet werden muß und die, wenn dies nicht in angemessener Weise geschieht, das Selbst bedrohen und verschlingen kann.
    In einem Buch über schüchterne Singles beschreibt die Autorin, eine Psychologin, in psychologischen Begriffen eine Erfahrung, die in Wirklichkeit soziologisch ist:
    230 In meiner Erfahrung als Psychologin in New York City ist die Partnersuche der gemeinsame Nenner, der bei alleinstehenden Männern und Frauen jeder Altersklasse Schüchternheit auslöst. Auf ihrer Suche nach jemandem, mit dem sie ihr Leben teilen können, werden viele meiner Klienten, wie sie mir berichten, von so intensiven Gefühlen der Angst, Zurückweisung und Unwürdigkeit geplagt, daß ihnen jede Entschuldigung recht ist, um zu Hause zu bleiben .  […] Etwa vor zehn Jahren begann ich festzustellen, daß ein Klient nach dem anderen berichtete, er fühle sich sozial inkompetent, für andere unsichtbar und voller Furcht   – vor allem bei Verabredungen und in sozialen Situationen.  [39]
    Gerade weil der Wert nicht im voraus bekannt ist und performativ hergestellt, also in und mittels der romantischen Interaktion verliehen werden muß, lösen diese Interaktionen akute Ängste aus: Was in ihnen auf dem Spiel steht, ist die Leistung des Selbst und sein Wert. Das Gefühl von Unsichtbarkeit, das diese Patienten empfinden, oder, um einen gebräuchlicheren Ausdruck zu verwenden, ihre »Angst vor Zurückweisung« ist somit zuallererst eine Angst vor dem, was Honneth als »soziale Unsichtbarkeit« bezeichnet, ein Zustand, in dem man dazu gebracht wird, sich sozial wertlos zu fühlen. Wie Honneth ausführt, kann soziale Unsichtbarkeit durch subtile und verdeckte Formen der Demütigung hervorgerufen werden. Expressive Reaktionen über Gesichtsausdruck, Blicke und Lächeln bilden die elementaren Mechanismen sozialer Sichtbarkeit und eine elementare Form der sozialen Anerkennung.  [40] Es ist diese soziale Unsichtbarkeit, die das Selbst in romantischen Beziehungen bedroht, gerade weil mit Zeichen der Bestätigung das Versprechen einer ungeschmälerten sozialen Existenz einhergeht. »Während diesem ersten Stadium  [der Partnersuche] 231 sind schüchterne Singles überwältigt  […] von der Angst vor Zurückweisung und dem Gefühl von Unsicherheit. Sie können einfach nicht den ersten Schritt tun – Hallo sagen, Blickkontakt aufnehmen, jemanden auf ein Getränk einladen oder intim werden.«  [41] Die weithin diskutierte »Angst vor Zurückweisung« ist folglich also eine soziale Angst, ausgelöst durch den Umstand, daß die soziale Geltung nahezu einzig und allein über die von anderen gewährte Anerkennung begründet wird. Stärker als andere verkörpern schüchterne Singles die Bedrohung, die in der sozialen Definition der eigenen Existenz liegt: » [Eine] schüchterne Person übt wie besessen Selbstkritik für – reale oder vermeintliche – Patzer. Diese Form der Bestrafung schwächt ungewollt das Selbst und schadet der Selbstachtung.«  [42] Eine solche Selbstkritik unterscheidet sich substantiell von den oben erörterten Strategien der Selbstherabsetzung im 19. Jahrhundert: Sie stellt keinen Charakter zur Schau, der auf dem (ungefähren) Wissen um den eigenen Wert und das anzustrebende Ideal beruht. Vielmehr drückt sich in ihr etwas aus, das wir als »konzeptuelle Selbstunsicherheit« bezeichnen können, also eine Unsicherheit bezüglich des eigenen Selbstbilds und der Kriterien zum Aufbau eines solchen Selbstbilds. Die konzeptuelle Selbstunsicherheit hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, daß die Kriterien für Personalität und Charakterideale unklar geworden sind, aber auch mit der Tatsache, daß soziale Beziehungen von Unsicherheit über den eigenen sozialen Wert heimgesucht werden, wozu die Unsicherheit gehört, anhand welcher Kriterien andere die Bemühung um einen solchen Wert beurteilen werden. Die konzeptuelle Unsicherheit ist das Gegenteil der Selbstherabsetzung, von der oben die Rede war: Diese wurde ausdrücklich formuliert und ritualisiert statt verdeckt ausgeübt; sie bedrohte das Ich-Ideal nicht, 232 ja, verkörperte es sogar, sie verlangte nach der ritualisierten Beschwichtigung eines anderen und knüpfte somit ein Band, und schließlich setzte sie eine unausgesprochene Bezugnahme auf moralische Ideale voraus, die beiden Seiten bekannt waren.
    Die »Angst vor Zurückweisung« ist eine Bedrohung, die ständig über Beziehungen schwebt, weil sie das ganze
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