Warum Liebe Weh Tut
Gebäude des Selbstwerts bedroht. Auch dafür im folgenden einige Beispiele. In einem Brief an seinen Bruder Theo beschreibt Vincent van Gogh, wie seine Kusine Kee seine Liebe zurückwies: »Ich habe sehr viel Lust zum Leben bekommen, und ich bin sehr froh, daß ich liebe. Mein Leben und meine Liebe sind eins. ›Aber du stehst vor einem nie, nein, nimmer ‹, wirst Du mir vorhalten. Darauf sage ich: ›Old boy, vor der Hand betrachte ich dieses nie, nein, nimmer als einen Eisklumpen, den ich mir aufs Herz lege, damit er da zerschmilzt‹.« [43] Hier wird die Zurückweisung unübersehbar nicht in eine Bedrohung des eigenen Status oder Selbstwertgefühls übersetzt. Sie bietet dem Mann vielmehr eine weitere Gelegenheit, seine Fähigkeit, das Eis der Zurückweisung zum Schmelzen zu bringen, unter Beweis zu stellen. Man vergleiche dies mit der folgenden 40jährigen lesbischen Frau, die in einer noch frischen Beziehung ist und mir im Interview sagte:
Wir hatten ein tolles Wochenende, an dem ich ihren Freundeskreis und ihre Familie kennenlernte, und wir hatten auch tollen Sex, und nach diesem Wochenende sagt sie zu mir, vielleicht solltest du heute abend nur für zwei Stunden kommen, vielleicht sollten wir aber auch bis morgen warten, bis wir uns wiedersehen. Ich war so verärgert und wütend auf sie. Und wissen Sie, jetzt, während ich mit Ihnen spreche, überwältigt mich die Angst. Ich fühle mich wie gelähmt. Wie konnte sie mir das nur antun?
233 Diese Frau versinkt in akuten Angstgefühlen, weil die Bitte ihrer Liebhaberin, sich »nur« für zwei Stunden zu treffen, auf ein Gefühl »sozialer Auslöschung« hinausläuft. In ihren autobiographischen Erinnerungen schildert die Sexkolumnistin des britischen Independent , Catherine Townsend, die Trennung von ihrem Freund. Diese löst bei ihr solche Qualen aus, daß sie an einem Treffen der »Anonymen Sex- und Liebessüchtigen« teilnimmt. Dort stellt sie sich in folgender Weise vor:
Ich heiße Catherine, und ich bin liebessüchtig. […] Bis heute konnte ich nicht begreifen, warum ich über meine letzte Beziehung nicht hinwegkam. Aber ich glaube, es liegt daran, daß ich gut genug sein wollte, um die Eine für ihn zu sein. Ich glaube, ich wollte irgendwie unbewußt beweisen, daß ich gut genug wäre, damit mich jemand heiratet . Also habe ich verzweifelt auf Teufel komm raus an meinem Ex festgehalten. [44]
Unübersehbar leidet die Autorin an ihrem Selbstwertgefühl, das durch die Liebe geschaffen oder ausgelöscht werden kann. So sieht es, um eine Stimme aus der Hochliteratur zu zitieren, auch Jonathan Franzen, wenn er schreibt:
Das große Risiko ist dabei [bei der Liebe] natürlich die Zurückweisung. Dann und wann nicht gemocht zu werden, das halten wir alle aus, gibt es doch einen unendlich großen Pool potentieller Möger. Doch das eigene Ich ganz zu exponieren, nicht nur die gefällige Oberfläche, und dann seine Zurückweisung zu erleben, kann katastrophal schmerzhaft sein. Die Aussicht auf Schmerz ganz allgemein, den Schmerz des Verlusts, der Trennung, des Todes, ist es, was die Versuchung so groß macht, die Liebe zu meiden und im sicheren Reich des Gefallens zu bleiben. [45]
234 Und in einem Blog auf der Website der Zeitschrift Glamour erzählt eine Frau, daß ihr »Herz im Rührmixer« war, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte, und daß sie »Monate (wenn nicht Jahre) brauchte, um ganz über ihn hinwegzukommen«. Ihre Freundinnen halfen ihr dabei, ihre Verzweiflung zu überwinden, indem sie ihr sagten, daß sie » großartig war , [sie] mit Bergen von Schokolade fütterten und zusammen mit [ihr] endlos kitschige Filme guckten.« [46] Die Reaktion dieser Freundinnen ist bezeichnend für die weitverbreitete Intuition, daß eine Trennung das elementare Selbstwertgefühl und die Grundlagen der eigenen ontologischen Sicherheit bedroht. Diese Befunde finden Bestätigung durch die Forschungen eines Soziologenduos, die in der »Modern Love«-Kolumne der New York Times aufgegriffen werden: »›Für Frauen zählt, ob sie überhaupt in einer Beziehung sind – ganz gleich, wie schrecklich diese ist. Es ist ein bißchen erbärmlich‹, räumt Frau Simon [die Soziologin] ein. ›Obwohl auf diesem Feld so große gesellschaftliche Entwicklungen stattgefunden haben, hängt das Selbstwertgefühl der Frauen immer noch so sehr daran, ob sie einen Freund haben. Das ist bedauernswert.‹« [47]
Mein Vorbehalt
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