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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Autoren: John Lanchester
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Russland bis nach Venezuela ähnelten die staatlichen Schatzämter einer Szene bei den Simpsons , in der Monty Burns und sein Assistent Smithers sich gegenseitig mit Dollarbündeln bewerfen und »Geldschlacht!« rufen. Der Erdölbedarf war deshalb so stark gestiegen, weil in vielen Entwicklungsländern, insbesondere in Indien und China, ein beispielloses Wirtschaftswachstum zu verzeichnen war. In beiden Ländern tauchte plötzlich eine rasant wachsende, überaus konsumfreudige neue Mittelschicht auf. Das Bruttoinlandsprodukt in China wuchs pro Jahr durchschnittlich um 10,8 Prozent, in Indien waren es 8,9 Prozent. In nur 15 Jahren wuchs in Indien die Mittelschicht – und damit ist derjenige Bevölkerungsteil gemeint, der es geschafft hatte, sich aus der Armut zu befreien – von 147 Millionen auf 246 Millionen Menschen an; in China wurden aus den ursprünglichen 174 Millionen gar 806 Millionen – möglicherweise die größte wirtschaftliche Leistung eines einzelnen Landes in der Weltgeschichte. Das persönliche Einkommen wuchs dort zwischen 1978 und 2004 um 6,6 Prozent pro Jahr, vier Mal so schnell wie der weltweite Durchschnitt. Mittlerweile erhalten 30 Millionen chinesische Kinder Klavierunterricht. Zwei Fünftel aller indischen Schuljungen im Gymnasialalter bekommenzusätzlich zu ihrer Schulausbildung Nachhilfeunterricht. Wenn Länder, deren Wirtschaft derart floriert, insgesamt eine Bevölkerung von 2,25 Milliarden Menschen haben, steht der gesamte Planet mit einem Mal vor einer vollkommen neuen wirtschaftlichen Perspektive. Hunderte Millionen Menschen sind nun deutlich wohlhabender geworden und haben die dazugehörigen Ansprüche entwickelt. Die Ölpreise sind gestiegen, die industrielle Produktion ist gestiegen, der Preis von Grund- und Rohstoffen ist gestiegen und die Wirtschaft (fast) eines jeden Landes floriert. Wer weiß, denken die Optimisten, wenn es mit der Weltwirtschaft so weitergeht, könnte es uns vielleicht tatsächlich gelingen, bis 2015 einige der Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen, wie zum Beispiel, den Anteil der Bevölkerung, die weltweit Hunger leidet, zu halbieren, oder den Anteil der Bevölkerung, deren Einkommen unter einem Dollar pro Tag liegt. 1 Als diese Ziele formuliert wurden, schien das utopisch, aber da die Welt nun um 34 Billionen Dollar reicher geworden war, entstand plötzlich der Eindruck, als könne dieses Ziel tatsächlich erreicht werden.
    Und dann war es ganz so, als wäre die Weltwirtschaft eines Tages hingegangen und hätte beschlossen, es könne, da sie doch gerade so wunderbar die Straße entlangsauste, keinen besseren Augenblick geben, um einmal diese Sache mit dem Rückwärtsgang auszuprobieren. Das Ergebnis … nun, aus heiterem blauen Himmel, einem Himmel, der den meisten Leuten noch nie zuvor so klar und blau erschienen war, gab es einen katastrophalen Unfall mit Totalschaden. Unglaublich viele Menschen stellten sich seither immer wieder eine einzige Frage: Was ist passiert?
    Ich habe den Verlauf der Wirtschaftskrise nun seit mehreren Jahren verfolgt. Meine Beschäftigung mit diesem Thema begann im Rahmen der Hintergrundrecherche für meinen Roman Kapital, und rasch wurde mir klar, dass ich hier gerade die interessanteste Geschichte entdeckt hatte, die mir je untergekommen war. Während meiner anfänglichen Nachforschungenbrach die Northern Rock Bank zusammen, und es wurde nur zu offensichtlich, was ich damals in einem Zeitschriftenartikel schrieb: »Wenn unsere Gesetze nicht dahingehend erweitert werden, dass die supermächtigen, superkomplexen und potentiell superriskanten Anlageinstrumente kontrolliert werden können, dann werden diese eines Tages eine finanzielle Katastrophe von globalen Ausmaßen verursachen.« Und im Zusammenhang mit der für alle deutlich erkennbaren Immobilienpreisblase schrieb ich, dass ich es sehr verstände ehr verslich fände, »wenn man zu der Überzeugung gelangt, dass ein wie auch immer gearteter Crash kurz bevorsteht«. Ich hatte zwar recht, aber es war schon zu spät: Alle Grundlagen für die Krise waren bereits geschaffen – obwohl ich es damals wie heute verblüffend finde, wie träge die Regierungen weltweit handelten und es versäumten, sich auf das kolossale Debakel, das sich im Herbst 2008 ereignete, vorzubereiten. Hauptsächlich aber habe ich dieses Buch deshalb geschrieben, weil das Geschehene einfach unglaublich interessant ist. Es ist eine höchst erstaunliche Geschichte, voller
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