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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Autoren: John Lanchester
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allmählich ab, bringt die Wirtschaft sehr langsam und mühsam wieder ins Gleichgewicht und irgendwann steht man dann wieder dort, wo man stand, bevor die Blase platzte. Im Westen herrscht allgemein eine verdutzte Fassungslosigkeit bei der Vorstellung, dass diese Geschichte nun uns passiert und nicht denen ; wie sich herausgestellt hat, ist es wesentlich leichter, diesen Zyklus aus Krise und langsamer Erholung hinzunehmen, wenn andere Leute ihn erdulden müssen; Leute, die im Idealfall sehr weit weg sind, in fernen Ländern, über die wir kaum etwas wissen. Aber im Augenblick sieht es so aus, als wären wir es, die genau diesen Kurs eingeschlagen haben.
    Aber wäre das so schlimm? Es wäre sicherlich ein recht bedeutungsvolles Kapitel im Niedergang der westlichen Welt;und es wäre auch den Menschen nicht egal, die hier im Westen leben. Aber im weitesten ökonomischen Sinne und aus historischer Perspektive wäre es letztendlich nur die Beschleunigung einer Entwicklung, die ohnehin längst im Gang ist. Verglichen mit China, Indien und anderen Entwicklungsländern sind wir auf dem besten Weg, in eine ökonomische Talfahrt zu geraten; ja, eigentlich sind wir schon mittendrin. China ist mittlerweile die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ein Jahrzehnt des wirtschaftlichen Abschwungs würde diese Verlagerung von Reichtum und Macht in der Welt weiter vorantreiben und es wäre sicherlich kein Spaß, das hautnah mitzuerleben, aber aus global-historischer Perspektive wäre es vielleicht gar nicht mal so entscheidend für den weiteren Lauf der Dinge. Es wäre einfach nur die landschaftlich weniger reizvolle Straße in Richtung eines Ziels, das wir so oder so längst angesteuert haben.
    Besonders frustrierend wird dieser Prozess jedoch dadurch, dass die Maßnahmen, die man hätte ergreifen können, um jahrelange Stagnation zu verhindern, ziemlich naheliegend scheinen. Zuallererst müsste man einen mittelfristigen Plan aufstellen, der Wachstumsanreize setzt und höhere Ausgaben vorsieht, um die Konjunktur anzukurbeln. Im Rahmen dieses Plans müsste man die Sparmaßnahmen, die Ausgabeneinschränkungen und die Haushaltskonsolidierung auf später verschieben, auf einen Zeitpunkt, an dem das Wachstum gegriffen hat. Dann müsste man einen weltweiten Konsens zur Reform des Finanzsystems finden. Ein solcher Plan müsste auf internationaler Ebene koordiniert werden, und es wäre gut möglich, dass er auch eine Verlagerung in Richtung eines »utility model« (eines Versorgungs- oder Dienstleistungsmodells) im Bankwesen mit sich bringt.
    Ein solches Modell würde bedeuten, dass das Bankwesen nach dem Vorbild der Versorgungsunternehmen, zum Beispiel der Wasserversorgungs- oder Elektrizitätskonzerne, reformiert wird. Die Bedeutung und Funktion solcher Unternehmen für das Allgemeinwohl ist unverkennbar und zum Schutz der öffentlichenInteressen sind sie denn auch zahlreichen Verordnungen und Regulierungen unterworfen. Sie sollen zwar auch für Investoren profitabel sein, aber Art und Höhe dieser Profite werden im Endeffekt von der Regierung bestimmt. Es werden ganz klare Regeln aufgestellt, wie das Unternehmen zu führen ist, was es tun darf und was nicht, und auch, zumindest ungefähr, wie viel Geld es verdienen darf. Viele kasinoähnliche Aktivitäten, die die Banken derzeit noch betreiben – von denen die meisten Nullsummenspiele ohne jeden öffentlichen Nutzen sind, bei denen eine gegen die andere Seite wettet und eine gewinnt, während die andere verliert –, wären dann verboten.
    Oder Sze=e Seiman könnte, wie es der Wirtschaftswissenschaftler Ha-Joon Chang von der Universität Cambridge vorschlug, die Finanzpraktiken den gleichen Regulierungen unterwerfen wie Drogen: Neue Produkte werden grundsätzlich erst einmal verboten, es sei denn, es lässt sich beweisen, dass sie harmlos sind. Wir haben gerade eben noch genug Zeit, um einen solchen Kurswechsel vorzunehmen, bevor alles zu spät ist. Aber ich fürchte, der Westen hat sich derart in die Ideologie der Ausgabenkürzung um jeden Preis verbissen, und die Angst der Politiker vor den Banken sitzt so tief, dass die mühsame, zehn Jahre währende Plackerei durch ein wirtschaftliches Jammertal sehr viel wahrscheinlicher ist.
    Die breite Öffentlichkeit, die gezwungen ist, die Sache aus der Froschperspektive zu betrachten, empfindet bei dieser neuen Entwicklung der Wirtschaftskrise ein Gefühl der Fassungslosigkeit. Diese Haltung ist mir sowohl in Island als auch in Irland,
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