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Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt

Titel: Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
Autoren: John Lanchester
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Geld einzufahren und sich einen größeren Bonus zu verdienen (der bei Bankern üblicherweise 60 Prozent ihres Gehalts betrug), musste man nur einem ganz einfachen Rezept folgen: noch größere Risikeneingehen. Die Vorteile dieser Methode liegen auf der Hand. Und die Nachteile – nun, man gewann zunehmend den Eindruck, dass es für die Banker selbst keinerlei Nachteile gab. Simon Johnson, der frühere Chefökonom des Weltwährungsfonds – zu dessen Job es dort gehörte, den Verantwortlichen der Kleptokratien, die sich selbst in den Bankrott getrieben hatten, eine Abreibung zu verpassen –, erklärte in seinem Artikel »The Quiet Coup« (Der stille Staatsstreich), inwiefern dieser Prozess eine wesentliche Rolle dabei spielte, dass sich die USA in eine »Bananenrepublik« verwandelten:
    Die Finanzindustrie hat nicht immer eine so bevorzugte Behandlung genossen. Aber während der letzten 25 Jahre florierte der Finanzsektor und wurde immer mächtiger. Dieser Boom begann mit der Reagan-Ära und verstärkte sich noch durch die Deregulierung der Clinton- und Bush-Regierungen. Doch bei dem Machtanstieg der Finanzindustrie spielten noch einige andere Faktoren eine Rolle. Durch die Geldmarktpolitik, die Paul Volcker in den achtziger Jahren vertrat, erhöhte sich die Volatilität der Zinssätze, und der Anleihenhandel wurde wesentlich lukrativer. Die Erfindung der Kreditverbriefung (Securitization), Zinsswaps und Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps) führte im Bankwesen zu einem beträchtlichen Anwachsen des gewinnbringenden Handelsvolumens. Da die Bevölkerung immer älter und wohlhabender wurde, gab es auch immer mehr Menschen, die ihr Geld in Wertpapieren anlegten.Zusätzlich gefördert wurde dies durch die Einführung des IRA und des 401K-Plans. 3 Diese Entwicklungen brachten für die Finanzdienstunternehmen eine enorme Steigerung der Gewinnchancen mit sich.
    Es kann daher kaum überraschen, dass sich die Wall Street diese neuen Möglichkeiten zunutze machte. Von 1973 bis 1985 betrug der Anteil des Finanzsektors am Gesamtgewinn aller US-amerikanischen Unternehmen niemehr als 16 Prozent. 1986 stieg er auf 19 Prozent. In den neunziger Jahren schwankte er zwischen 21 und 30 Prozent und war damit höher als je zuvor seit Ende des Krieges. Im gegenwärtigen Jahrzehnt erreichte der Anteil 41 Prozent. Der Anstieg der Löhne verlief ähnlich dramatisch. Von 1948 bis 1982 wurden im Finanzsektor im Schnitt zwischen 99 und 108 Prozent des Durchschnittsgehalts der gesamten amerikanischen Privatwirtschaft bezahlt. Von 1983 an schoss dieser Anteil in die Höhe und lag 2007 bereits bei 181 Prozent.
    Der immense Reichtum, den der Finanzsektor hervorbrachte und auf sich konzentrierte, verschaffte den Bankern ein enormes politisches Gewicht – so wie es zuvor nur J. P. Morgan (und damit ist die Person gemeint, nicht die Bank) gehabt hatte. Damals, 1907, ließ sich die Bankenpanik nur durch eine gemeinsame Absprache unter den privaten Banken aufhalten: Keine einzige Regierungsinstanz konnte mit einer wirksamen Lösung aufwarten. Doch dieses erste Zeitalter der Bankenoligarchie endete, als aufgrund der Weltwirtschaftskrise einschneidende Bankenregulierungen in Kraft gesetzt wurden. Erst seit kurzem kann man von einer Rückkehr der amerikanischen Finanzoligarchie sprechen. 6
    Dieser Vermögenszugewinn war von einer Ausweitung des politischen Einflusses begleitet. Den Reichen hört man seit eh und je besser zu als den Armen. Aber hier wurde dieses Phänomen noch dadurch verstärkt, dass nach dem Ende des Kalten Krieges kaum mehr politisches Kapital aus der Idee der Fairness und Chancengleichheit zu schlagen war. Der freie Markt war nicht länger nur eine von mehreren Möglichkeiten der Weltordnung, die sich mit anderen Systemen vergleichen lassen und auseinandersetzen mussten. Nun stieg er zu einem Glaubensgegenstand von geradezu mystischen Dimensionen auf. In diesem Glaubenssystem wurde den Angestellten der Finanzindustrie die Rolle von Priestern und Magiern zuteil, und man begann, sie auch als solche zu behandeln. In Großbritannien konnte sich schließlich der Finanzsektor mehr oder minderdamit brüsten, eine ideologische Hegemonie auszuüben. Die britische Regierung kopierte die Verhaltensmuster, die in der City of London üblich waren – und auch das dazugehörige Vokabular. Man sprach von Zielen und Zielvorgaben – ein untrügliches Zeichen für die vollkommen unkritische »Cityphilia«, die Liebe zur Finanzindustrie,
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