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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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halten. Es wäre geradezu so, als meinte man, dass es nur Pflanzen gibt, weil man Botanik studiert.
    Wenn wir unser Wohnzimmer im Universum verorten, gehen wir von einem Gegenstandsbereich zum anderen über, ohne dies überhaupt zu bemerken. Wenn wir den Begriff des Universums präziser definieren, als wir dies üblicherweise tun, stellt sich also heraus, dass viele Gegenstände gar nicht zum Universum – also zu einem naturwissenschaftlichen Gegenstandsbereich – gehören. Die Fernsehserie Stromberg oder Thomas Manns Roman Zauberberg werden in keiner Naturwissenschaft erforscht, und doch kommen sie im Gegenstandsbereich von Wohnzimmern vor. Daraus ergibt sich als ein erstes Ergebnis, an das man sich vermutlich erst einmal gewöhnen muss: Es gibt viele Gegenstände, die es nicht im Universum gibt. Das Universum ist also kleiner, als man vermuten könnte, und das, obwohl es mindestens aus vielen Hundert Milliarden Galaxien und aberwitzig vielen subatomaren Teilchen besteht. Es ist sagenhaft energiegeladen und voller noch nicht erforschter Tatsachen und … dennoch nur eine Provinz unter anderen, eine ontologische P rovinz des Ganzen. Das Universum ist einfach deswegen ontologisch provinziell, weil es vieles gibt, das nicht im Universum vorkommt. Es gibt neben dem Universum viele andere Gegenstandsbereiche. Dies bedeutet nicht, dass die anderen Gegenstandsbereiche insgesamt außerhalb des Universums existieren, was eine ganz andere (und falsche) These wäre. Thomas Manns Zauberberg oder die Bundesrepublik Deutschland existieren nicht an einem anderen Ort als das Universum, sozusagen hinter oder über den Galaxien und damit sozusagen »hyper-« oder »meta-galaktisch«.
    Bevor wir weitergehen können, ist es sinnvoll, wenn wir einen Augenblick innehalten und einem naheliegenden Gegeneinwand begegnen. Der Gegeneinwand besagt, dass alle Gegenstände, die ich aufgezählt habe, sehr wohl zum Universum gehören, weil sie doch schließlich alle aus Materie bestehen, die von der Physik studiert wird. In der Tat bestehen alle normalen Couchtische in allen normalen Wohnzimmern aus Materie. Allerdings bestehen zum Beispiel geträumte Couchtische in geträumten Wohnzimmern nicht aus Materie, ebenso wenig wie eingebildete Hundert-Euro-Scheine aus Materie bestehen. Sonst könnte man sehr einfach reich werden, indem man sich drei Millionen Hundert-Euro-Scheine einbildet und sich mit diesen etwa eine schöne Stadtvilla zulegt. Sobald man diese mit eingebildetem Geld bezahlt hat, könnte man sein eingebildetes Konto wiederum auf den alten Kontostand bringen, indem man sich die nötige Geldsumme einbildet. Ebenso steht es mit Erinnerungen. Wenn ich mich heute fünfmal an das gestrige Abendessen erinnere, nehme ich deswegen nicht an Körpergewicht zu, weil ein erinnertes Abendessen – oder genauer das Erinnerungsbild eines Abendessens – nicht dick macht. Die Gegenstände und Szenen der Erinnerungen existieren nicht auf materielle Weise, sie kommen nicht oder nicht mehr im Universum vor.
Der Materialismus
    Es ist an dieser Stelle wichtig, zwischen Physikalismus und Materialismus zu unterscheiden. Während der P hysikalismus behauptet, dass sich alles Existierende im Universum befindet und deswegen physikalisch untersucht werden kann, behauptet der M aterialismus , dass alles Existierende materiell ist. In seiner klassischen, seit der griechischen Antike bekannten Spielart des Atomismus behauptet der Materialismus, in Wahrheit gebe es nur Atome – etwa die gerade aktuellen »Gottesteilchen«, die Grundbausteine der Materie – und die Leere drum herum. Es gibt zwar noch ganz andere Versionen des Materialismus, und der Ausdruck kann ganz disparate Lehren charakterisieren. Doch hier verwende ich ihn ausschließlich im Sinne dieser beiden Thesen: Erstens kommt alles Existierende im Universum vor. Und zweitens ist alles, was im Universum vorkommt, materiell oder hat zumindest eine materielle Grundlage. Alles Existierende besteht dem Materialismus zufolge aus grundlegenden Elementarteilchen, aus denen sich wie in einem gigantischen Legobaustein-System alles zusammenstecken lässt, von Wasserstoffatomen über die Alpen bis hin zu meinen Gedanken, die dem Materialismus zufolge Gehirnzustände sind und nur als solche existieren.
    Materialisten nehmen an, dass Erinnerungen oder Einbildungen als Gehirnzustände materiell sind, obwohl die Gegenstände, an die man sich erinnert oder die man sich einbildet, nicht materiell sein müssen. Das ist
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