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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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ihre Entfernung zu anderen astronomischen Gebilden bestimmen und vieles mehr. In der Physik geht es niemals um Wohnzimmer, sondern allenfalls um Gegenstände in Wohnzimmern, sofern diese unter die Naturgesetze fallen. Wohnzimmer kommen in der Physik schlicht nicht vor, Planeten schon.
    Wohnzimmer und Planeten gehören demnach gar nicht zum selben Gegenstandsbereich. Ein G egenstandsbereich ist ein Bereich, der eine bestimmte Art von Gegenständen enthält, wobei Regeln feststehen, die diese Gegenstände miteinander verbinden. So gibt es etwa den Gegenstandsbereich der Politik. Zu diesem Gegenstandsbereich gehören Wähler, Gemeindefeste, die sogenannte Basis der Parteien, Steuergelder und vieles mehr. Es gibt auch den Bereich der natürlichen Zahlen, zu dem etwa die Zahlen 7 und 5 gehören und für den gewisse grundlegende arithmetische Gesetze gelten. Gegenstandsbereiche sind dabei nicht notwendig räumlich umgrenzt. Der Bürgermeister von Oberwesel kann am Wochenende nach London reisen, ohne dass er damit aufhört, Bürgermeister von Oberwesel zu sein. Was zu einem Gegenstandsbereich gehört, wird durch bestimmte Regeln oder Gesetze festgelegt. Einige dieser Regeln sind lokal und räumlich. So gehören die fünf Finger meiner linken Hand zum Gegenstandsbereich meiner linken Hand. Wenn etwa zwei Finger in Århus bleiben sollten, während ich nach Bonn reise, hörten die in Århus verbliebenen Finger schnell auf, zum Gegenstandsbereich meiner linken Hand zu gehören.
    Erstens kommen alle Gegenstände in Gegenstandsbereichen vor, und zweitens gibt es viele Gegenstandsbereiche. Wohnzimmer sind Gegenstandsbereiche; es ist zu erwarten, dass bestimmte Gegenstände in ihnen vorkommen: Fernseher, Sessel, Leselampen, Couchtische oder Kaffeeflecken etwa. Galaxien sind ebenfalls Gegenstandsbereiche; doch in ihnen erwarten wir keine Leselampen oder Kaffeeflecken vorzufinden, sondern Sterne, Planeten, Dunkle Materie, Schwarze Löcher und vieles mehr. Stadtgemeinden beherbergen wiederum andere Gegenstände: Beamte, Aktenordner, Gesetze, Budgets und Langeweile.
    Es gibt also viele Gegenstandsbereiche, und wir sind unter alltäglichen Bedingungen auch ohne weiteres imstande, sie zu unterscheiden. Wir wissen, was uns erwartet, wenn wir ein Amt der Stadtgemeinde betreten: Man muss einen kleinen Zettel ziehen oder sich in eine Menge wartender Bürger einordnen, zu bestimmten Uhrzeiten muss man länger warten als zu anderen, und es gibt bestimmte, wichtige Unterlagen, die wir aber natürlich zu Hause vergessen haben. Im Gegenstandsbereich eines solchen Amtsbesuchs kommen hingegen keine physikalischen Gegenstände im engeren Sinne vor. Es geht beim Amtsbesuch nicht um Elektronen und auch nicht um chemische Verbindungen. Zwar kann man ein Büro auch chemisch analysieren, die präzise Entfernung zwischen zwei Punkten oder die Geschwindigkeit bestimmter Gegenstände im Raum messen (etwa die Geschwindigkeit von Uhrzeigern oder von rollenden Schreibtischstühlen). Doch eine solche Untersuchung wäre etwas anderes als ein Amtsbesuch. Die physikalische oder chemische Analyse einer bestimmten Raumzeitstelle, die von einem Büro eingenommen wird, ist keine Analyse des Büros mehr, da die Gegenstände, die zu einem Büro gehören, als solche nicht in der Physik oder Chemie vorkommen. Dies liegt daran, dass Büroklammern oder Beamte nicht in der Physik studiert werden. Dort geht es um Bewegung, Geschwindigkeit, Ursache und Wirkung und vieles mehr, aber nicht um Beamte oder die genaue Anzahl von Büroklammern, die täglich verwendet werden. Deswegen studiert man in der Physik oder Chemie auch nicht buchstäblich alles. Wer gerne ein physikalisches Forschungsprojekt über Goethes Faust einrichten möchte, wird Probleme haben, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft Drittmittel einzuwerben. Der Grund dafür ist, dass es in der Physik nicht um den Inhalt von Faust , sondern höchstens um die Gegenstände (Atome, Moleküle und so weiter) geht, aus denen Bücher oder sonstige Dokumente bestehen, die den Inhalt von Faust speichern.
    Kommen wir zu unserer ursprünglichen Verortung im Universum zurück! Wir meinten, unser Wohnzimmer befinde sich im Universum. Doch das stimmt so nicht. Denn das Universum ist bei genauerem Hinsehen lediglich der Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften, insbesondere der Physik. Halten wir also fest: Das Universum ist primär etwas, in dem alles vorkommt, was sich experimentell mit den Methoden der Naturwissenschaften
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