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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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untersuchen lässt. Vielleicht handelt es sich beim Universum um die vierdimensionale Raumzeit, was aber nicht ganz sicher ist, weshalb ich die Frage, was genau im Universum vorkommt, auch primär den Physikern überlasse. Als Philosoph kann man aber urteilen, dass das Universum nicht alles ist, da es eben nur der Gegenstandsbereich oder der Untersuchungsbereich der Physik ist. Da die Physik so wie jede andere Wissenschaft auch für all das blind ist, was sie nicht untersucht, ist das Universum kleiner als das Ganze. Das Universum ist nur ein Teil des Ganzen und nicht das Ganze selbst.
    Weil das Universum der Gegenstandsbereich der Physik ist, denken wir beim »Universum« auch an unendliche Weiten, in denen wir uns sofort verlieren. Bei solchen Unendlichkeiten wird uns schwindlig, wir verlieren buchstäblich den Boden unter den Füßen. Man bedenke nur, dass wir alle auf der Erde stehen, von der wir aufgrund gewisser Naturgesetze angezogen werden. Die Erde bewegt sich mit großer Geschwindigkeit durch die weiten Räume des Universums, ohne dass ersichtlich wäre, wo genau wir uns eigentlich befinden. Begriffe wie Zentrum und Peripherie sind keine guten Beschreibungen der Raumzeit. Denn hier gibt es weder eine Mitte noch einen Rand; wer dies meint, bleibt einem antiken Weltbild verhaftet, so als ob etwa die Milchstraße in der Mitte wäre und am Rand des Universums die Gefahr besteht, herauszufallen. Der pessimistische Philosoph Arthur Schopenhauer hat unsere Lage im Universum einmal folgendermaßen beschrieben:
    Im unendlichen Raum zahllose leuchtende Kugeln, um jede, von welchen etwan ein Dutzend kleinerer, beleuchteter sich wälzt, die inwendig heiß, mit erstarrter, kalter Rinde überzogen sind, auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat: – dies ist die empirische Wahrheit, das Reale, die Welt. Jedoch ist es für ein denkendes Wesen eine mißliche Lage, auf einer jener zahllosen im gränzenlosen Raum frei schwebenden Kugeln zu stehn, ohne zu wissen woher noch wohin, und nur Eines zu seyn von unzählbaren ähnlichen Wesen, die sich drängen, treiben, quälen, rastlos und schnell entstehend und vergehend, in anfangs- und endloser Zeit: dabei nichts Beharrliches, als allein die Materie und die Wiederkehr der selben, verschiedenen, organischen Formen, mittelst gewisser Wege und Kanäle, die nun ein Mal dasind. 9
    Wenn wir alles Leben und allen Sinn im Universum verorten, schnurrt der Sinn des Lebens gleichsam auf die Illusion von Ameisen zusammen, die sich irgendwie wichtig nehmen. Aus kosmischem Blickwinkel sieht es ganz so aus, als ob wir aus purem Überlebensinteresse der hochmütigen Phantasie nachhängen, der Mensch und seine Lebenswelt seien etwas Besonderes. Aber im Universum spielt unser Sinn keine zentrale Rolle. Es ist einer längst erloschenen Galaxie, deren Licht uns gerade erreicht, völlig gleichgültig, ob ich heute Morgen gefrühstückt habe oder nicht. Im Universum sind wir bestenfalls eine biologische Spezies unter anderen, und es geht nur darum, einen hungrigen Leib durch eine materielle Umwelt zu steuern und mit anderen zu kooperieren, um die eigenen Überlebenschancen zu erhöhen.
    Wenn wir im Universum keinen Sinn des Lebens finden, liegt das allerdings nicht daran, dass wir tatsächlich nur Ameisen sind, die auf einer beleuchteten Kugel herumwuseln. Der wahre Grund für eine solche Erfahrung der Geringfügigkeit und Sinnlosigkeit liegt vielmehr darin, dass wir ganz verschiedene Gegenstandsbereiche vermischen. Das Universum bezeichnet nicht nur ein Ding, sondern eben auch eine besondere Betrachtungsweise. Es ist keine selbstverständliche und alternativlose Ortsangabe, kein unumstößlicher Name für das Ganze, in dem wir uns befinden, sondern Resultat einer komplexen gedanklichen Operation. Das Universum, so groß es auch ist, ist nur ein Ausschnitt des Ganzen.
    Friedrich Nietzsche hat einmal in einem seiner vielen zutreffenden Aphorismen festgehalten: »Um den Helden herum wird alles zur Tragödie, um den Halbgott herum alles zum Satyrspiel; und um Gott herum wird alles – wie? vielleicht zur ›Welt‹?« 10 Man könnte entsprechend hinzufügen, dass um den Naturwissenschaftler herum alles zum Universum wird oder um einen Soldaten herum alles zum Krieg. Wenn man der Meinung ist, dass sich alles Existierende im Universum befindet, oder dass alle Ereignisse im Universum stattfinden, begeht man den Fehler, einen Gegenstandsbereich unter anderen für das Ganze zu
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