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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt
Autoren: Markus Gabriel
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unabhängig von unseren Empfindungen gibt, und behauptet, dass die Wirklichkeit farblos sei und aus mathematisch beschreibbaren materiellen Gegenständen und ihren Ortsveränderungen bestünde. Die moderne theoretische Physik ist sogar noch radikaler. Die sogenannten Stringtheoretiker nehmen an, dass die physische Wirklichkeit letztlich nicht einmal mehr raumzeitlich in irgendeinem uns vertrauten Sinne ist. Es könnte sich zumindest bei der vierdimensionalen Raumzeit um eine Art Hologramm handeln, das von höheren Dimensionen aus durch bestimmte in physikalischen Gleichungen beschreibbare Vorgänge projiziert wird. 8
    Dass die Wirklichkeit anders ist, als sie scheint, ist dem modernen Menschen ein vertrauter Gedanke, der uns bereits in der Schule nahegebracht wird – wenn wir etwa zum ersten Mal verwundert feststellen, dass man mit Buchstaben rechnen kann. Oder auf Reisen, wenn wir uns gezwungen sehen, tiefsitzende Vorurteile zu revidieren. Wenn so viele Gegenstände bei genauerem Hinsehen fragwürdig sind, wenn alles Wissen in eine Art tiefes Nichtwissen eingehüllt zu sein scheint, warum vertrauen wir dann überhaupt noch auf die Wirklichkeit, wie sie uns erscheint, auf die Welt, in der wir zu leben scheinen?
Du und das Universum
    In diesem Kapitel möchte ich die Frage, wo eigentlich alles stattfindet, genauer untersuchen und philosophisch beantworten. Um diese Frage vernünftig zu beantworten, müssen wir erst einmal zwei Begriffe unterscheiden, bei denen heute in der Wissenschaft, im Alltag, aber auch in der Philosophie ein ziemliches Durcheinander herrscht; ich meine die Begriffe Welt und Universum.
    Beginnen wir mit dem Universum. Dieser Begriff wird derzeit mystisch und religiös aufgeladen. Zum Beispiel in esoterischen Bestsellern wie Bestellungen beim Universum oder zeitgenössischen Filmen und Fernsehserien (besonders häufig etwa in der populären Sitcom How I Met Your Mother ) wird das Universum als Ort des Schicksals angesehen: Das Universum will etwas von uns oder teilt uns etwas mit. Das Universum steht hier für das maximale Ganze, in dem wir uns befinden. Wenn wir uns fragen, was die Realität, die Wirklichkeit, die Welt, der Kosmos oder das Universum sind, fragen wir ziemlich vage danach, was das Ganze ist, und wundern uns anschließend darüber, was es eigentlich soll.
    Die Frage nach dem Sinn des Lebens und die Frage, was das Ganze überhaupt ist, hängen also offensichtlich eng zusammen. Wenn man davon ausgeht, das Ganze sei eigentlich nur ein riesiger Haufen subatomarer Partikel oder noch viel verrückterer Strukturen – etwa eine Unzahl von sogenannten Strings, die in zehn Raum- und einer Zeitdimension zittern und je nach Frequenz etwa als Elektron oder als was auch immer erscheinen –, hat man es entsprechend schwer, einen Sinn daraus zu schlagen, weil unser Leben selbst als eine Illusion, als bloßer Effekt geistloser Teilchen erscheint. Wenn ich annehme, dass ich nur ein Haufen zitternder Strings bin, der sich einbildet, ein Mensch mit bestimmten Interessen, Plänen, Wünschen, Ängsten usw. zu sein, hat mich das Nichts aus der Unendlichen Geschichte bereits eingeholt.
    Wenn wir vom Universum sprechen, geben wir damit implizit bereits eine Antwort auf die Frage, was das Ganze ist, in dem wir uns befinden. Anders als so mancher Esoteriker stellen wir uns das Universum in der Regel als eine gigantische Anhäufung von Galaxien und sonstigen astronomischen Gebilden vor, die vor einem dunklen Hintergrund aufleuchten. Unser Bild vom Universum sieht aus wie ein gigantisch großes Foto, das von einer Art Hubbleteleskop aus aufgenommen wurde. Und in diesem Universum kommen wir auch selbst an irgendeinem Punkt vor – genau genommen auf dem dritten Planeten eines Sonnensystems, das gemeinsam mit etwa 400 Milliarden weiteren Sternen Teil des Milchstraßensystems ist.
    Dies scheint auf den ersten Blick eine verhältnismäßig unproblematische Ortsangabe zu sein. Etwa von der Art: Ich sitze in meinem Wohnzimmer auf der Helenenbergstraße in Sinzig am Rhein. Aber das täuscht. Es besteht ein grundlegender Unterschied, ob wir über Wohnzimmer oder Planeten sprechen. Planeten und Galaxien sind nämlich Gegenstände der Astronomie und damit der Physik, Wohnzimmer nicht. Zum Unterschied zwischen Wohnzimmern und Planeten gehört, dass wir Wohnzimmer einrichten, dort essen, bügeln oder Fernsehen gucken, während wir Planeten beobachten, ihre chemische Zusammensetzung durch aufwendige Experimente messen,
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