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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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drei kleine Kinder«, jammert die Mehtar, »das jüngste kriegt sogar noch die Brust!«
    »Wenn du die Kiste nicht abstaubst, kannst du verschwinden.«
    »Ich arbeite schon seit fünf Jahren für den General, noch nie hab ich eine Ecke vergessen, sogar unter den niedrigen Schränken fege ich jeden Tag, sogar an dem Tag, als mein Vater verbrannt wurde, bin ich gekommen, um zu fegen, und als ich mein jüngstes Kind gekriegt habe, war ich schon am nächsten Tag wieder da, welche Fegerin macht das?«
    »Feg den Staub von der Kiste.«
    »Das wird mein Tod«, schluchzt sie. »Können wir es nicht zusammen machen?«
    »Ich fege nicht, Butler fegen nie.«
    »Aber bleiben Sie dann ganz nah bei mir stehen, wenn ich es tue?«
    »Memsahib hat geklingelt. Ich muß nach oben.«
    Die Mehtar beginnt zu schluchzen, sie dreht den Besen aus getrocknetem Gras in den Händen.
    »Brich den Besen nicht entzwei.«
    »Was ist los?« Mathilda schaut über das Treppengeländer auf die beiden Dienstboten, die bei der Kiste stehen.
    »Nichts, Memsahib, nichts.«
    »Ich dachte, ich hätte jemand weinen hören.«
    Der Butler, ein Mann im mittleren Alter, der schon bei mehr britischen Armeefamilien im Dienst war und seit einem halben Jahr für die Familie Bridgwater arbeitet, blickt nach oben. »Nein, Memsahib, es ist alles in Ordnung.«
    Die Mehtar rennt mit gesenktem Kopf aus der Halle, und der Butler zupft die Falten seiner Livree zurecht.
    »Na ein Glück, du weißt, ich kann es nicht ertragen, wenn jemand weint.« Mathilda geht wieder zum Kinderzimmer, wo Sita dem Baby die Windeln wechselt, und ruft, bevor sie hineingeht: »Sorg bitte dafür, daß die Kiste in den Schuppen kommt, morgen kommt mein Mann nach Hause, um seinen Sohn Donald zu sehen!« – mit der Betonung auf »Sohn«.
    Der Butler betrachtet die Kiste, die genauso groß ist wie er und irgendwie aussieht wie ein aufrechtstehender Sarg. Auf einer Seite stehen Buchstaben, aber er hat nie lesen gelernt. Er denkt an seinen Vater, der nach dem großen Krieg zusammen mit dem schottischen Offizier Macintosh einen Tiger für den Londoner Zoo fangen mußte. Einen Tiger zu finden war nicht schwer, einen zu schießen auch nicht, Macintosh hatte in seinem Leben schon mehr als vierzig Tiger geschossen. Aber dieser mußte lebendig sein. Sie hatten eine Kiste gebaut und eine Falle gestellt. Mit dem brüllenden Tiger in der Kiste waren sie in fünf Tagen nach Bombay gefahren, wo der Tiger auf ein Schiff verladen wurde. Sein Vater hatte während der Reise nach Bombay erst einen Zeigefinger und später die ganze rechte Hand verloren, weil Macintosh ihm beim Füttern des Tiers nicht helfen wollte. Der Butler blickt auf seine schönen Hände mit den schlanken Fingern, die unversehrt sind.
     
    Das Personal hat sich vollzählig in der Küche versammelt, in dem Steinhaus im Garten mit einem Dach aus Palmblättern. Vierzig Inder und Inderinnen, alle in Livree, stehen dicht gedrängt in dem engen Raum und sehen den Butler mit erschrockenen Gesichtern an.
    »Wer sich nicht traut, kann gehen«, sagt er.
    Niemand rührt sich. Die Leute fürchten sich vor dem Butler, alle wissen, daß er aus einer tapferen Familie in Kaschmir kommt und daß ein englischer Zoo einen Tiger nach seinem Vater benannt hat, aber richtige Angst spüren sie erst, wenn sie an den General denken, der morgen nach Hause kommt.
    »Nehmt die Stöcke.«
    Die Gruppe läuft mit den langen Stöcken zum Haus zurück. Der Butler, seiner Herkunft würdig, hat ihnen den Plan erklärt, wie sie die Kiste transportieren können. Sie sollen die Stöcke auf den Boden legen, die Kiste mit einem anderen Stock umkippen und sie dann wie eine Bahre zum Schuppen tragen.
    »Leise, sonst wird das Baby wach.« Der Butler öffnet die Haustür.
    In der Halle steht Victor Bridgwater, sein Cane noch unterm Arm. Neben ihm stehen seine fünfjährige Tochter Charlotte und seine Frau Mathilda mit dem Baby auf dem Arm. Die Kiste ist offen.
    »Herr General, Sie sind schon da?« stammelt der Butler, verwundert, daß er ihn nicht kommen gehört hat.
    »Noch mit dem Blut an meinen Händen«, sagt Victor mit dröhnender Stimme. »Was sollen die ganzen Stöcke? Beschützt ihr so meinen Sohn?« Er lacht und dreht sich zu seiner Frau um. »Deine Truppe scheint mir fähiger zu sein als meine, Tilly.«
    Mathilda schaut etwas beklommen auf die Gruppe dunkelhäutiger Männer und Frauen mit Stöcken und ist froh, daß ihr Mann gerade rechtzeitig zurück ist. Warum tragen die
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