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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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1995
Rampur
     
     
     
    Wenn ihre Seele so makellos gewesen wäre wie ihr Rasen, dann wäre sie in jenem Jahr nicht gestorben. Sie glich dem alten Lloyds, der jahrelang der einzige elektrische Rasenmäher weit und breit gewesen war. Daß auf ihn noch Verlaß war, lag an der Marke und nicht an der Liebe.
    Sie schob das leise brummende Gerät vor sich her. Am Horizont rötete sich der Himmel, und das Stromkabel war inzwischen bis zum Ende ausgerollt. Charlotte wendete den Lloyds mit einem Ruck und ging zurück zum Haus. Das war noch mühsamer, denn nun ging es bergauf, und sie mußte aufpassen, daß sie nicht über das Kabel fuhr. Sie schnaufte vor Anstrengung, wieder hatte sie es gerade noch rechtzeitig geschafft. In der Ferne hörte sie den Bus zur ersten Fahrt des Tages starten, in einem der Häuser unten an der Straße ging ein Licht an, die Grillen hatten aufgehört zu zirpen, und die Vögel träumten noch. Langsam wachte Indien auf.
     
    Charlotte schob den Lloyds in den Schuppen und rollte das lange, aus etlichen Verlängerungsschnüren zusammengesteckte Kabel auf. Jedesmal, wenn sie nach Neu-Delhi mußte, hatte der Gärtner sie gebeten, ihm ein zusätzliches Kabel mitzubringen, damit er auch noch weiter unten mähen konnte. Bis vor einem halben Jahr, da war er eines Morgens nicht mehr aufgewacht.
    Charlotte hatte den Mali um seinen friedlichen Tod beneidet. Als man sie geholt hatte, war es noch dunkel gewesen, so wie jetzt. An der Rückwand des Schuppens, neben dem alten Lloyds, stand sein einfaches Bett, zusammengeschustert aus Holz und Seilen. Der alte Mann lag darauf ausgestreckt in einem langen weißen Hemd, die Hände auf der Brust gefaltet, die Füße etwas auseinander, durch den dünnen, durchscheinenden Stoff sah man den Brustkorb, und die Augen waren geschlossen. Es sah aus, als bete er. »Du hast einen besseren Gott als ich«, hatte sie geflüstert.
    Nach dem Frühstück hatten drei ihr bis dahin unbekannte Neffen den Leichnam abgeholt. Charlotte war es noch immer ein Rätsel, wie Neuigkeiten sich so schnell verbreiten konnten. Die Männer hatten die Leiche in ein Tuch gehüllt und auf eine Tragbahre aus Bambus gelegt. Alle irdischen Besitztümer wurden in ein anderes Tuch gewickelt und verschwanden in einer Tasche. Nachdem Charlotte ihnen Geld für die Einäscherung gegeben hatte, waren sie gegangen, zwischen ihren Schultern den hin und her schwankenden Leichnam. In der Woche darauf hatte sie versucht, das Bett zu verkaufen, aber niemand wollte etwas bezahlen für das klapprige Holzgestell, auf dem der Mali gestorben war.
    Sie legte das Kabelbündel wieder aufs Bett. Es war Zeit für den Tee, bevor die Sonne das Land versengte und alle Vögel verstummten außer dem Kuckuck. Im Küchenhaus, das zwanzig Meter vom Haupthaus entfernt stand, ging das Licht an. Charlotte huschte die breite, monumentale Treppe hinauf und ging zurück in ihr Schlafzimmer. Sie wollte nicht, daß Hema sie in der alten Arbeitshose sah.
    Hema, der Butler, hieß eigentlich Hemavatinandan. Diesen Namen hatte sie sich schwer merken können, und darum hieß er schon seit neunundzwanzig Jahren Hema; daß das ein Mädchenname war, wußte Charlotte, die selbst mit vollem Namen Charlotte Elizabeth hieß, nicht. So wie sie auch nicht wußte, daß Hema in der Küche wartete, bis sie mit dem Mähen fertig war und den Rasenmäher wieder im Schuppen verstaut hatte, bevor er das Licht anmachte. Im Dunkeln hatte er schon Vorbereitungen getroffen, denn er wußte, daß sie sofort nach dem Tee klingeln würde, wenn sie wieder in ihrem Schlafzimmer war.
    Charlotte warf die Schlappen von den Füßen und zog die Hose aus, ihr Baumwollnachthemd hatte sie anbehalten, mit einem Seufzer schlüpfte sie unter das Moskitonetz zurück ins Bett. Die Fenster und Läden des Schlafzimmers standen sperrangelweit offen, und das Laken fühlte sich endlich kühl an. In einer Viertelstunde würde die Sonne brutal und stechend in den Tag eintreten. Einen Tag, dem sie wie jedem Dienstag mit Schrecken entgegensah, jetzt in den heißen Monaten noch mehr als sonst. Sie zog an der Schnur neben dem Bett. Draußen hatte sich der Himmel rosa gefärbt, die Vögel unter dem Fenster zwitscherten, eine leichte Morgenbrise blies den letzten Hauch Nachtluft in ihr Zimmer. Sie streckte sich lang aus und wartete auf den Tee.
     
    In der Küche ertönte die Klingel. Hema wischte sich den Schweiß von der Stirn und legte die Butangasflasche auf die Seite. Das Feuer unter dem
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