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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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Wasserkessel war schon zweimal ausgegangen, und er hatte keine Reserveflasche im Haus. Er hatte versucht, an der alten Feuerstelle in der Ecke ein Feuer zu entfachen, aber die Kohlen wollten nicht brennen. Mit schnellen Schritten ging er zum Schuppen. Unter dem Bett zog er den zerbeulten Petroleumkocher hervor, den der Gärtner benutzt hatte, und nahm ihn mit in die Küche. Die meisten englischen Haushalte besaßen schon seit Jahren einen Elektroherd, aber Charlotte hatte ihm gesagt, auf einem so modernen Herd gekochtes Essen schmecke ihr nicht. Hema war es schleierhaft, wie sie den Unterschied merken konnte.
     
    Das Tablett mit der Teekanne stellte er neben ihrem Bett ab und schenkte ihr eine Tasse ein.
    »Hattest du die Klingel nicht gehört?«
    »Sorry, Charlotte Memsahib .« Hema senkte den Kopf. »Die Gasflasche war leer, und es ist keine neue da.«
    »Wir haben doch noch Kohlen, oder?«
    Hema nickte und schloß die Fensterläden.
    »Der alte Bobajee hat immer auf einem Kohlefeuer gekocht«, erklang es vom Bett. Daß der alte Koch nie selbst das Feuer angezündet, sondern jedesmal den Gärtner zu Hilfe geholt hatte, war auch etwas, was Charlotte nicht wußte. Sie trank einen Schluck Tee und lächelte. »Zum Glück schmeckt dein Tee besser als der vom alten Bobajee.«
    Hema zog die Vorhänge vor die Fensterläden, und im Zimmer war es wieder völlig dunkel. Gepolter war zu hören, eine Glühbirne ging an, und der Ventilator an der Decke begann sich zu drehen. Charlotte blickte auf den Rücken des Mannes, der wieder ans Fenster trat.
    »Ma’am?« Hema zog die Vorhänge glatt.
    »Ja?«
    »Kann ich eine neue Gasflasche kaufen?«
    »Warum nimmst du nicht die Kohlen?«
    Hema senkte den Kopf noch tiefer. »Yes, ma’am, aber ich habe so viel zu tun.«
    »Das weiß ich, Hema. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn du erst die Kohlen aufbrauchst, bevor wir eine neue Flasche besorgen.«
    Barfuß ging der alte Mann zur Tür, den Kopf noch immer gesenkt, und murmelte: »Natürlich, Charlotte Memsahib, natürlich.«
    Charlotte schloß die Augen. Die erste Morgenhitze kroch durch die Ritzen der Fensterläden ins Schlafzimmer. Sie hörte, wie Hema die Badezimmertür öffnete und den Wasserhahn über der Wanne aufdrehte.
    »Denkst du daran, die Oberlichter im Kinderzimmer zu schließen?« rief sie ihm nach.
     
    Oben im Treppenhaus schlug die Uhr sechsmal, auf dem Dachboden suchte eine Taube die Öffnung, um hineinzufliegen, und Hema nahm den Schlüssel von dem Nagel, der neben der Kinderzimmertür hing. Alle versuchten, die ersten Stunden des Tages zu nutzen, bevor es zu heiß wurde und sich niemand mehr bewegen mochte. Charlotte öffnete die Augen und sah, daß Grashalme an ihren Füßen klebten. Sie hoffte, daß Hema es nicht gesehen hatte. Es gab vieles, was Charlotte nicht wußte, aber eines wußte sie genau: Hema hatte noch immer sehr gute Augen. Ihre Hand griff aus dem Moskitonetz heraus zum Nachttisch. Sie zog die Schublade auf und tastete zwischen Arzneifläschchen, Taschentüchern und anderem Krimskrams, bis sie hinten in der Ecke auf ein Kästchen stieß. Es war aus Holz und früher einmal himmelblau gewesen; inzwischen war die Farbe abgeblättert, und es war schmuddelig. Charlotte ergriff es und nahm es unters Moskitonetz. Sie zögerte, schien es zurücklegen zu wollen, öffnete es dann doch. In dem Kästchen lagen eine Zigarette und ein Feuerzeug. Ihre Nasenflügel bebten etwas, und ihre Zungenspitze fuhr über die Oberlippe. Die Geräusche im Haus verstummten, draußen brachen die Vögel ihren Morgengesang ab. Sie steckte sich die Zigarette in den Mund und knipste das Feuerzeug an, bewegte es langsam zur Spitze der Zigarette, hielt jedoch im letzten Moment inne. Charlotte nahm einen tiefen Zug von der nicht brennenden Zigarette, saugte ihn genießerisch in die Lunge, um anschließend große imaginäre Rauchwolken auszupusten. Sie entspannte sich und schnippte die Asche in den fiktiven Aschenbecher, der neben ihr auf dem Bett stand. Wieder nahm sie einen Zug, noch tiefer als der erste. Sie spitzte die Lippen und blies den Rauch langsam aus. Der Tag hatte angefangen.
     
    Charlotte fuhr auf ihrem alten Raleigh den Hügel hinunter. Ihr Rock und ihre Haare flatterten, und die staubige Erde wirbelte durch die rasante Fahrt auf. Unten, wo der Pfad auf die Straße traf, stand ein rostiges Verkehrsschild, von dem niemand mehr wußte, daß es ein Vorfahrtsschild war. Sie überquerte, ohne nach links und rechts zu sehen, die
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