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Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
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Straße. Ein LKW -Fahrer, der gerade mit einer Ladung Wassermelonen um die Kurve kam, verfluchte sie, doch das hörte sie nicht, denn in dem Moment fuhr sie schon am Gemüsestand vorbei, wo ein Mann mit krummen Beinen Mandarinen zu einem hohen Berg auftürmte. Er hob grüßend die Hand. Charlotte winkte dem Mann zu, der gut Fahrradschläuche flicken konnte. Ihr Tempo wurde nun langsamer, nicht, weil sie es wollte, sondern weil der Hügel in die ebene Straße überging, die an den Stadtrand führte. Auf ihrer Stirn bildeten sich Schweißtropfen, der Rock klebte ihr an den Beinen, und ihr Atem ging schneller. Der Staub, der der Luft ihren grauen Farbton gab, haftete an ihrer Haut. Sie spürte ihre Knie und verwünschte den alten Drahtesel. Ein Auto hupte, und Charlotte sah sich ermattet um. Hinter dem Chauffeur saß die Frau von Nikhil Nair, wie immer ganz in Rosa, und winkte. Ihre Lippen bewegten sich, aber was sie sagte, war nicht zu verstehen; niemand käme auf die Idee, das Fenster eines Autos mit Klimaanlage herunterzukurbeln, wenn es nicht unbedingt sein mußte. Charlotte nahm die Hand vom Lenker und winkte zurück. Einen Moment hoffte sie, die Frau des Distriktsdirektors der Eastern Indian Mining Company würde sie mitnehmen, doch der Wagen überholte sie, und sie schnappte in der Wolke von Auspuffgasen nach Luft.
    Wenn sie vor drei Wochen nicht Probleme mit dem Magen gehabt hätte, dann hätte Charlotte das regelmäßige Dienstagmorgentreffen nicht versäumt. Ein Professor aus Kalkutta hatte einen Vortrag gehalten und den Damen erklärt, wie wichtig tägliche Bewegung im Kampf gegen Cellulite sei. »Aha! Deshalb das Fahrrad!« hatte eine der Damen gerufen, und die anderen hatten genickt. Keine von ihnen hatte nämlich begriffen, warum Charlotte, die jahrelang mit dem Auto gekommen war, den Vauxhall verkauft hatte und nun mit dem Fahrrad kam. Das Auto verschwand in der Ferne. Sie wußte nicht, was für eine Marke es war, aber daß es neu, groß und teuer war, war für niemanden ein Geheimnis. Ein Geheimnis aber war es, daß Nikhil Nair Charlotte die Pendeluhr abkaufen wollte, die große Standuhr, die schon seit ihrer Kindheit im Treppenhaus stand und die ihr Großvater auf einem Tandem über den Khaiber-Paß transportiert hatte, während seine Frau zu Fuß hinterherlief. Wieder hupte ein Auto lange, diesmal war es kein Clubmitglied, sondern der Fahrer des LKW mit den Wassermelonen. Charlotte sah auf die Uhr, die über einer Ladentür hing, in zehn Minuten würde das Treffen anfangen. Ein Arzt, der sich auf Nägel spezialisiert hatte, würde heute einen Vortrag halten. Charlotte hatte als Kind selten frische Milch getrunken und erklärte sich damit, daß ihr ständig die Fingernägel abbrachen. Eigens zu diesem Anlaß hatte sie sich die Nägel gut gefeilt und knallrot lackiert, mit Nagellack in der einzigen Farbe, die sie noch besaß, denn die Damen des Clubs würden ihre Hände gegenseitig mit erhöhter Aufmerksamkeit mustern.
    Plötzlich überquerte eine Kuh die Straße. Sie konnte dem Tier gerade noch ausweichen. Es trabte zu einem Holzkarren, der am Straßenrand stand und mit einer großen eisernen Tonne beladen war. Die Kuh stieß mit ihren Hörnern gegen die Tonne, ein kleiner Junge, der auf dem Rand des Karrens saß, rief der Kuh etwas zu, verschwand in der Tonne und kam mit einem Eimer Wasser wieder zum Vorschein, den er über dem Kopf des Tieres ausgoß. Die Kuh öffnete das Maul. Das Wasser gluckerte hinein, und das Tier trank gierig. In der Ferne ertönte ein gellendes, an- und abschwellendes Geräusch. Immer, wenn sie die Sirene eines Feuerwehrautos hörte, setzte Charlottes Herzschlag kurz aus. Sie sprach ein Stoßgebet; hoffentlich war es kein großes Feuer, und hoffentlich kam niemand um, vor allem kein Feuerwehrmann. Das Sirenengeheul verebbte, ohne daß sie den großen roten Wagen zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht ist das auch besser so, dachte sie. Der Junge kletterte mit einem zweiten Eimer aus der Tonne und goß das Wasser großzügig ins Maul des Tieres. Charlotte hatte auch Durst, im Club würden Tee und Kaffee und eine Kanne mit Eiswasser auf sie warten.
    Sie radelte durch das Tor. Im Schatten des Wachhäuschens schlief der Wächter, in der Hand eine leere Colaflasche, und unter einem blau-weißen Sonnenschirm lag der Hund des Sekretärs hechelnd neben seinem Wassernapf. Der Rasen des New Rampur Club war gelb und verdorrt, und der Bach, der das Gelände durchzog, war völlig
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