Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Warten auf den Monsun

Warten auf den Monsun

Titel: Warten auf den Monsun
Autoren: Threes Anna
Vom Netzwerk:
das gelbe Zimmer. Ihre Mutter sitzt vor dem Frisiertisch, sie trägt ein langes, lindgrünes Kleid und im Haar ein goldenes Diadem. Mit einem Pinsel malt sie sich die Lippen rot an.
    »Komm, Mathilda, du bist fertig.« Ihr Vater steht in vollem Ornat an der Tür, er tippt mit dem Säbel an die Sohle seines Stiefels, auf seiner Brust prangt ein Orden.
    »Fast, Victor, fast«, lacht ihre Mutter, während sie mit dem Pinsel in aller Ruhe die Form ihres Mundes etwas verändert. »Gefällt dir die Farbe?«
    »Das ist die Farbe der Uniformjacken der Irish Guards.«
    »Ja, scharlachrot. Reich mir bitte mal die schwarzen Handschuhe.«
    »Die hier?«
    »Nein, Victor, die langen.«
    Er wirft sie ihr zu.
    »Mein galanter Ritter«, lacht sie und zieht die eng anliegenden Handschuhe an. Sie steht auf, geht zu ihrem Mann hin und reicht ihm die Hand. Einen Moment sieht es so aus, als wolle er salutieren, aber dann nimmt er ihre Hand und führt sie aus dem Zimmer.
    Charlotte wartet, bis ihre Eltern das Zimmer verlassen haben, und schleicht sich durch die offene Balkontür hinein. Sie war schon einmal, als ein heftiges Gewitter tobte und Sita eine Nacht bei ihrer Familie schlief, in das gelbe Schlafzimmer geschlüpft. Ihre Mutter war nicht aufgewacht; an den warmen, unbekannten Körper geschmiegt, war Charlotte eingeschlafen und hatte sich nach Sitas Armen gesehnt.
    Im Zimmer riecht es süß, auf dem Frisiertisch stehen Dutzende Fläschchen. Charlotte nimmt einen kleinen grünen Flakon, zieht den Stöpsel heraus und schnuppert. Sie schließt die Augen und atmet den schweren Duft ganz tief ein. Es riecht nach ihrer Mutter, als sie aus Delhi kam mit dem blauen Sonnenhut. Sie nimmt ein anderes Fläschchen, öffnet es und riecht ihre Mutter, wenn sie in die Kirche geht. Das nächste erinnert sie an ein Gartenfest, und ein rosa Flakon riecht nach ihrer Mutter, mit Schmuck behängt. Eine erwachsene Frau sein ist das Schönste, was es gibt , denkt sie.
    Mit einem Ruck wird sie vom Schemel gezerrt. Neben ihrem Spiegelbild sieht sie ihren Vater. Sie hat nicht gehört, wie die Tür aufging. Er hebt sie hoch und geht mit ihr zu dem großen Kleiderschrank, macht ihn auf, steckt sie hinein, macht die Tür wieder zu und schließt sie ab. Charlotte hört, wie die Schlafzimmertür auf- und zugeht. Sie hockt wie erstarrt zwischen den süß duftenden Kleidern ihrer Mutter. Sie beginnt zu weinen: Sita, bitte wach auf, hol mich hier raus! Ich habe Angst!

1935
Rampur
     
     
     
    Am Fuß der Treppe steht eine Kiste. Schon seit Wochen. Keiner traut sich, sie anzufassen, denn Major Victor Bridgwater ist zu einem Militäreinsatz abkommandiert, und Mathilda hat an dem Tag, an dem die Kiste ankam, ihren ersten Sohn zur Welt gebracht. Seit ein paar Tagen verläßt sie wieder ihr Zimmer, aber sie hat nicht gesagt, was mit der Kiste passieren soll. Das wuchtige Holzding steht mitten in der Halle, keiner beschwert sich darüber. In den ersten Tagen linsten die Dienstboten, wenn sie mit sauberen Windeln und warmen Kompressen nach oben gingen, neugierig auf die Stempel und Siegel auf dem Deckel, davon überzeugt, daß es etwas mit dem Neugeborenen zu tun habe, aber seit Charlotte dem Kindermädchen erzählt hat, es sei eine Maschine darin, die die Arbeit der Dienstboten machen könne, fürchten sich alle vor der Kiste.
    Der alte Butler, mit einem Silbertablett, auf dem eine große Teekanne steht, sieht eine der Fegerinnen schnell an der Kiste vorbeihuschen. »Halt!« sagt er.
    Die Mehtar , eine junge Frau in einem ausgebleichten Sari, schaut ihn schuldbewußt an.
    »Warum fegst du den Staub nicht von der Kiste?«
    »Aber Herr«, flüstert die Frau, »dann bricht es aus!«
    »Was?«
    »Das eiserne Tier.«
    Obwohl er es niemals zugeben würde, fürchtet sich auch der Butler vor dem, was in der Kiste ist. Der Bobajee, der es von seinem Masalchee hat, der mit einem Kuli gesprochen hat, der mit dem Kuli des Postvorstehers befreundet ist, hat ihm erzählt, daß in der Kiste eine Maschine steckt, die laufen und sprechen kann. Der Kuli hat gesehen, wie der Postbeamte die Kiste geöffnet hat, um zu kontrollieren, ob sie wirklich das enthielt, was in den Zollpapieren stand, und er erzählte, wie sein Chef mit einem Schrei den Deckel wieder auf die Kiste geworfen und dann gerufen habe, daß die Kiste so schnell wie möglich zum General, der eigentlich nur ein Major ist, geschafft werden solle.
    »Auf der Kiste liegt Staub, und Memsahib beschwert sich sonst.«
    »Ich habe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher