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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer
Autoren: Michael M. Thurner
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Warum nur flüchtest du? Vor was oder wem läufst du davon?
    Was ließ dich in Panik ausbrechen? Wer ist sie?
    Der Sauerstoff, den du so dringend zum Denken benötigst – er fließt so zäh, füllt deine Lungen nur ganz allmählich.
    Zitternd stehst du da. Kalte Schweißtropfen perlen von deiner Stirn oder tropfen an deinen langen hellen Haaren hinab. Deine Beine zittern, wollen den müden, ausgelaugten Körper nicht mehr weiter tragen. Du siehst, gebückt vor Schmerzen, zu Boden, betrachtest das giftgrüne Moos, in dem Käfer große Stücke weißen Fleisches in Richtung ihres Baus transportieren.
    Da!
    Ein Windhauch, nein: ein Pesthauch! Er weht über die breiten, sonst so ruhigen Äste der Jahrhunderte alten Eichen.
    Sie kommt. Du musst weiter. Sonst…
    Du ignorierst die weißen Punkte vor deinen Augen und versuchst die Panik aus deinem Kopf zu verdrängen. Mit schweren müden Schritten trabst du tiefer in den Wald.
    Der Luftzug begleitet dich. Doch er bringt keine Linderung der Hitzewallungen, die du in dir wachsen fühlst. Der Wind wird stark und stärker. Er reißt an den Blättern und Ästen, er zerrt an den Stämmen. Feuchtes faules Laub weht hoch, verwirrt deine Sinne noch zusätzlich.
    Wohin nur? Du blickst umher, bist orientierungslos.
    »Es ergibt keinen Sinn«, murmelst du.
    »Es macht keinen Sinn!«, brüllt dir der aufkommende Sturm entgegen.
    (Es hat keinen Sinn) , sagt eine unglaublich fremde und doch so bekannte Stimme in deinen Gedanken.
    Sie ist da. In deiner Nähe. Ganz nah.
    Du drehst dich im Kreise, gefangen im Wirbelsturm der Blätter, losgerissener Äste, hilflos piepsenden Kleingetiers – und deiner Gefühle. Es tröpfelt, es regnet, es hagelt.
    Dies ist kein Traum – dies ist die Wirklichkeit. Du weißt es.
    Du fühlst es.
    Du fällst zu Boden, unfähig deine Beine auch nur einen Meter weiter vorwärts zu bewegen. Schwer schlägst du auf, prellst dir das Steißbein, verrenkst dir die rechte Schulter, hörst das trockene Knacken, als zwei Finger der Linken brechen.
    Dein Rückgrat, diese unglaublich filigrane und dennoch so tragfähige Konstruktion, die deinen Körper aufrechthält, verbiegt sich wie von selbst in eine unmögliche Stellung – und bricht.
    Sie kommt. Du fühlst es – und dennoch bist du hilflos und überfordert, als du sie endlich siehst.
    Schmerzen? Was sind körperliche Schmerzen, was ist der nahende Tod im Vergleich zu dem Anblick, den du nun erdulden musst?
    Nur am Rande erfasst du die unglaubliche Schönheit ihres Körpers; die zarte milchige Haut, die Lust weckenden Rundungen, die wohlproportionierten Brüste, den festen Hintern, die schmalen Hüften, die perfekt gezeichnete Muskulatur. Ihr wunderschönes, anmutiges Gesicht überdeckt alles. Betörende Blicke aus rätselhaften, schwarzblaugrünen Augen schlagen dich in ihren Bann. Sie durchdringen dich, diese Blicke, fressen sich durch dein Denken, sezieren deine Seele, entfernen mit einem Wimpernschlag deinen freien Willen.
    »Willkommen in meiner Welt«, sagt sie und lächelt. Es ist ein Lächeln, das alles verheißt und dennoch kalt ist wie Eis.
    Sie haucht dich an, du riechst ihren süßlichen, parfümierten, grässlichen Atem und wiederholst auf ihren gedachten Wunsch hin: »Willkommen!«
    Grünlich schimmernde Würmer fallen aus ihrem Mund ins Gras, vergehen in bläulichen Flammen, werden zu eitrigen Blasen, die die Umgebung wegätzen. Es zischt und brennt, es wird immer heißer. Dampf umgibt dich, ätzt dir den letzten Rest Verstand aus dem Kopf. Da ist nur noch sie und ihr Lächeln. Alles andere wird zu monotoner weißer Fläche.
    Du hörst auf zu denken.
    Endlich.
    Sie sagt: »Wir werden noch viel Spaß miteinander haben, Rulfan…«
    ***
    Er erwachte, richtete ruckartig den Oberkörper auf und schrie seine Angst lauthals in die Welt hinaus. »Aunaara! Nein! Geh… weg!«
    Stille.
    Bloß ein leises Echo antwortete Rulfan, reflektiert von den steinernen Ruinen einer lange vergessenen Zeit, die seine Schlafstätte umrahmten.
    »Nein!«, rief er nochmals, stieß sich vom Boden ab und sah sich um. Langsam, nur ganz allmählich wurden die Schatten des Albtraums von der Wirklichkeit verdrängt.
    Basingstoke, wusste er plötzlich.
    Er befand sich in unmittelbarer Umgebung der Ruinenfelder der ehemals mittelständischen Gemeinde auf halbem Wege zwischen London und Salisbury. 160.000 Menschenleben waren hier verloren gegangen , rief er sich erlernte geschichtliche Daten in Erinnerung, nachdem »Christopher-Floyd«
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