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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer
Autoren: Michael M. Thurner
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beruhigen lassen und hielten auch jetzt noch gehörigen Abstand zu ihm. Ab und zu griff sich einer der Barbaren demonstrativ an die Nase oder hustete laut. Ihre Abscheu war unübersehbar.
    Rulfan war von ihnen stets respektvoll behandelt worden. Er verstand ihre Sitten und akzeptierte ihre Lebensumstände; er galt als Bindeglied zwischen ihnen und den Bunkermenschen.
    Neben Aruula, Jed und Matt war er der wichtigste Mittelsmann. Die Männer und Frauen der Communities in London und Salisbury, lange Zeit ungreifbare Gestalten, die stets in silberne Anzüge gehüllt auftraten, waren für die Barbaren mehr oder weniger geruchlos und damit fremd geblieben.
    »Wia haam ein paa von de Tuuwists gefundn und gesaacht, wos langgeht«, brabbelte der Grandlord. Er biss in eine lange Erdwurzel und spuckte zwei Käfer aus, die er aus irgendeinem Grund nicht mit vernaschen wollte.
    »Waren sie mit euren… Vorschlägen einverstanden?«, fragte Rulfan vorsichtig.
    »Viele ham ko… kop… kopuliat«, stotterte Paazival angestrengt.
    »Kooperiert, wolltest du sagen«, verbesserte Rulfan und verbiss sich ein Grinsen, während Eve Neuf-Deville neben ihm tief ausatmete.
    Seit Wochen streunten fremde Stämme, die einst dem Ruf des Königs gefolgt waren, durch die sanfte Hügellandschaft zwischen London und Salisbury. Mit dem Tod des jungen Königs war für viele der Lebensinhalt weggebrochen. In ihren heimatlichen Gefilden mochten sich mittlerweile andere Stämme oder Gruppen festgesetzt haben. Also waren sie geblieben.
    Tausende von ihnen hielten sich nach wie vor in den ehemaligen Grafschaften Cornwall, Devon, Dorset – ja, sogar hier in Hampshire auf und sorgten für Unruhe. Sie suchten nach urbarem Land oder wildreichen Wäldern, in denen sie sich niederlassen konnten.
    Und meist eroberten sie gewaltsam ihre neuen Jagdgründe…
    Rulfan hatte stets den Standpunkt vertreten, dass die Barbarenstämme, mit denen sie kooperierten, die Ordnung in ihren Gebieten selbst besorgen sollten. Die Communities würden sie natürlich unterstützen, aber es schürte nur noch mehr Hass und Unfrieden, wenn übermächtige EWATs die so genannten domestizierten Barbaren verteidigten.
    Rulfan hatte also im Einverständnis mit seinem Vater mehrere Grandlords über die Bewegungen der »fremden«
    Stämme informiert und einige Ratschläge gegeben. Mehr nicht.
    Das Land war groß. Es gab ausreichend freie Flecken, die man urbar machen konnte. Dort konnten die Neuankömmlinge friedlich siedeln.
    Ein weiteres Argument wog vielleicht noch schwerer, um Zugereiste willkommen zu heißen: Im Süden Englands gab es einen Überschuss an heiratsfähigen Frauen. Die Schlachten der letzten Jahre hatten zu einer drastischen Reduzierung des Männerbestandes geführt.
    »Gut«, sagte Rulfan vorsichtig. »Viele Stämme sind also in Gebiete gezogen, die ihr ihnen gezeigt habt.«
    »Aye«, antwortete Paazival. »Mia ham dem stääksten Kriega den Kopp eingeschlagn, dann ham sie ko… kop… kopul…«
    »Und was ist mit jenen Stämmen, die euch nicht zugehört haben?«
    »Die ham wia übazeugt. Aba anständig!« Der Grandlord lachte, und seine Begleiter stimmten fröhlich ein.
    Rulfan sah den Männern auf die Wampen. Sie alle hatten zugenommen und standen gut im Futter. So manch einer der Krieger aus dem Norden, die im Barbarenjargon aus unerfindlichen Gründen »Tuuwists« genannt wurden, hatte wohl in großen Kochtöpfen an den Siegesfeiern teilgenommen…
    »Salisbury ruft, Sir!«, flüsterte ihm die Funktechnikerin, ein wuchtiges Weib von nahezu ein Meter achtzig Körpergröße von hinten ins Ohr. »Ihr Vater, Sir!«
    Paazival blickte argwöhnisch herüber. Die Störung war ihm sichtlich nicht recht. Wenn Grandlords und Biglords am Lagerfeuer saßen, wichtige Gespräche führten und sich gegenseitig Läuse aus den verfilzten Bärten zogen, waren Unterbrechungen dieser Art ein schwerer Verstoß gegen die Etikette. Rulfan verfluchte die unvorsichtige Soldatin im Stillen. Auch wenn Paazival, Djeymes und die anderen mit den Communities zusammenarbeiteten – man durfte mit ihnen nicht spaßen. Regeln und Bräuche waren ernst zu nehmen.
    Es war schließlich auch kein Zufall, dass sich die Lords punktgenau um fünf Uhr hier eingefunden hatten und nun heißes Wasser mit einem Tropfen Wakuda-Milch aus Tontöpfen schlürften. Aus unerfindlichen Gründen hatte sich dieses urbritische Ritual aus einer längst vergessenen Zeit in die Gegenwart herüber gerettet. Rulfan hatte schon
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