Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer
Autoren: Michael M. Thurner
Vom Netzwerk:
Land zu bewegen? Keine Taratzen, Nosferas, Nordmänner oder Kwötschis waren zu fürchten gewesen. Was hatten sie dabei empfunden?
    Rulfan schüttelte den Kopf, als könne er dadurch die Gedanken verdrängen. Die Zeit der krausen Ideen, die Zeit seiner Jugend war vorbei. Sie hatte mit dem Moment geendet, als er heimlich seinen Ranzen gepackt hatte und aus Salisbury geschlichen war.
    Er blickte auf die Uhr. In einer halben Stunde mussten sie in Westminster bei der Audienz sein. Vor ihnen tauchten erste Ruinenfelder auf. Das ehemalige Greater London, dieser unglaubliche Moloch mit seinen mehr als sechzehn Millionen Einwohnern.
    Sechzehn Millionen!
    Rulfan zweifelte daran, dass die Gesamtbevölkerungszahl Europas heutzutage mehr als zwei Millionen Menschen erreichte.
    Mit gebotener Vorsicht durchquerte er die Ruinenlandschaft. Er wusste, dass es seit zwei Jahren einige Gehöfte gab, die von sesshaft gewordenen Großfamilien und Stämmen bewohnt waren. Wie sie es schafften, ihr Hab und Gut gegen den Rest der Welt zu verteidigen, war ihm ein Rätsel.
    Rulfan schätzte diese Menschen. Sie waren Pioniere. Es waren diejenigen, die vorangingen und das Land neu eroberten.
    Sie verdienten wahrlich jede Unterstützung.
    Doch wir müssen uns in erster Linie mit den Invasoren aus dem All beschäftigen, dachte Rulfan. Mit den Daa’muren.
    Nicht nur beschäftigen – wir müssen sie besiegen und vom Antlitz der Erde fegen.
    Der Albino steuerte zwischen Dornenhecken hinab zur Themse. Die Kühle des Wassers empfing sie. Leichter Nieselregen kam auf, und umso kräftigerer, kalter Wind. Die Winterstürme würden nicht mehr lange auf sich warten lassen.
    Ein, zwei Wochen vielleicht noch.
    Rulfan steuerte weg vom Ufer, auf die Wasserfläche hinaus.
    Hier würden sie am raschesten vorankommen.
    Plötzlich entstand Schmerz.
    Feuriger, tobender Schmerz, der sich frontal durch seine Stirn fraß. Ein heißer Strahl, glühend und rot. Zwischen seinen Augen hindurch bohrte er sich ins Hirn, zerfaserte die graue Masse, formte psychedelische Bilder, die keiner menschlichen Fantasie entstammen konnten. Aunaara war da! Die Frau. Die Daa’murin. Sie war in ihm, sie steckte in ihm. Sie besaß ihn…!
    »Rulfan?«
    Er schreckte hoch. Die Bilder verschwanden, der Schmerz verging augenblicklich. Er war wieder Herr seiner Sinne. »Was ist?«, fragte er orientierungslos.
    »Ich hatte das Gefühl, dass du für einen Moment nicht bei der Sache wärst und wollte…«
    »Ich bin immer bei der Sache!«, entgegnete er grob und schob den Gasgriff bis auf Anschlag.
    Jetzt nur nicht zu ihr umdrehen. Ich darf ihr auf keinen Fall zeigen, wie mies es mir geht… Fahrig wischte er sich mit dem Handrücken über die Stirn. Was war das nur… ein Tagtraum?
    Und wenn ja, was habe ich geträumt?
    Wenige Momente später war selbst diese Frage aus seinem Denken verschwunden.
    ***
    Die Audienz der Monarchin fand im SEF der Londoner Community statt, im so genannten »Septisch Externen Foyer«, dessen Sinn nach der Immunisierung der Bunkermenschen nur noch von peripherer Bedeutung war.
    Die Queen strahlte. Ihr Auftreten war nicht nur voll königlicher Gelassenheit, die sie auf die uralte Adelslinie der Windsors zurückführen konnte. Es war auch ein inneres Leuchten, das sie umgab.
    Ist es denn tatsächlich Dave McKenzie, der sie so ausgeglichen erscheinen lässt?, fragte sich Rulfan, während er gemeinsam mit Eve Neuf-Deville die rituellen Ehrbekundungen zeigte. Der Mann aus der Vergangenheit war ihr neuestes Spielzeug. Oder steckte da mehr dahinter, vielleicht sogar echte Gefühle?
    »Queen Victoria und David McKenzie – lächerlich!«, flüsterte er in Gedanken.
    »Sie wären ein schönes Paar«, sagte Eve, die gute Ohren haben musste.
    »Mag sein«, antwortete Rulfan, während er sich verbeugte, »aber leider kein standesgemäßes.« Er trat drei Schritte zurück und drehte sich zur Seite. »Wenn die beiden ihre kleine Affäre noch öfters in aller Öffentlichkeit zeigen, werden sie sich im Londoner Bunker einen Haufen Feinde machen.«
    Die Prime, Lady Josephine Warrington, hob zu einem traditionellen und dementsprechend langweiligen Hohelied auf das Königreich an.
    Eve wandte sich neuerlich Rulfan zu und flüsterte: »Diese Standesdünkel werden sich über kurz oder lang auch erledigen. Sobald wir Bunkerleute uns endgültig dem Leben an der Oberfläche zuwenden.«
    »Vorausgesetzt, wir können die Daa’muren vernichtend schlagen«, warf er ein.
    »Das werden wir«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher