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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer
Autoren: Michael M. Thurner
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wackelig erhob sich das Gefährt. Die vier Schubdüsen, die unten an den Enden der x-förmigen Basis angebracht waren, mussten mit viel Geschicklichkeit austariert werden.
    Rulfan fluchte leise auf coelsch, als sich das X-Quad langsam nach links neigte. Er verlagerte das Gleichgewicht zur Gegenseite und hielt sich dabei am stangenähnlichen Lenker fest.
    »Nicht so nervös«, tadelte ihn Eve. Sie war ruhig wie immer.
    Rulfan hatte ihr beim Training auf den X-Quads zugesehen.
    Sie beherrschte das Gefährt um einiges besser als er; doch sein Stolz verbot es selbstverständlich, sich von der jungen Psychotherapeutin nach London kutschieren zu lassen.
    Endlich hatten sie die Standard-Flughöhe von anderthalb Metern erreicht. Das X-Quad blieb einigermaßen stabil. Rulfan wagte nicht, allzu heftig zu atmen.
    »Jetzt ganz vorsichtig Gas geben«, sagte Neuf-Deville.
    Das fehlte ihm gerade noch – eine Frau, die ihm erklärte, wie er das Ding zu steuern und zu fliegen hatte! Rulfan drehte behutsam am Griff. Ruckartig schob sich das etwas mehr als zwei Meter lange X-Quad nach vorn. Der Albino lehnte sich leicht nach links und zwang das Gefährt in eine flache Kurve.
    Zu flach.
    »Leg dich mehr hinein«, empfahl ihm Eve, »trau dich nur. Es ist bloß eine Sache des Selbstvertrauens.«
    Er verdrehte die Augen und sagte nichts.
    Wackelig bahnte sich das X-Quad seinen Weg. Die kohlefaserverstärkte Frontschürze räumte Büsche und Sträucher beiseite und streifte beinahe eine Jahrhunderte alte Linde. Endlich hatte er das Fahrzeug durch die angepeilte 180-Grad-Kurve gezwungen. Jetzt konnte er die Schneise anvisieren, die ihn aus dem Wald aufs freie Land bringen würde.
    »Mehr Gas!«, empfahl ihm Eve.
    »Ich versuch’s ja«, grollte Rulfan verärgert über die Schulter. Doch die Frau hatte Recht: Das X-Quad wurde langsamer und langsamer – bis es schließlich vollends zum Stillstand kam.
    Genau über dem stinkenden, rauchenden Feuer.
    »Du drehst den Griff in die falsche Richtung!«, hustete Neuf-Deville. »Du bremst!«
    Tatsächlich! Verdammte Technik!
    Weiße, wolkige Schwaden umgaben Rulfan, raubten ihm die Atemluft und räucherten sein Gewand. Zornig drehte er den Griff in die andere Richtung – und mit bockigen Sätzen hüpfte das Fahrzeug auf die Schneise zu.
    Als sie wenige Minuten später den Wald verlassen und sich Ruß, Blätter sowie die Reste mehrerer hundert Insekten aus dem Gesicht gewischt hatten, sagte die nunmehr nicht mehr ganz so ruhige Eve deutlich hörbar: »Ich werde eine Flugprüfung für Männer auf diesen Dingern durchsetzen – und wenn es das Letzte ist, was ich in meinem Leben mache!«
    ***
    Der Fahrtwind fuhr Rulfan durch das lange weiße Haar und trieb ihm Tränen in die Augen. »Sechzig Kilometer pro Stunde!«, rief er begeistert nach hinten. »Sagtest du nicht, dass die Dinger eigentlich mehr drauf haben? Ich möchte ein bisschen Tempo machen.« Übermütig verlagerte er das Körpergewicht nach links, dann nach rechts. Das X-Quad gehorchte den geringsten Bewegungen und flog in unregelmäßigen Schlangenlinien.
    »Bis zu hundert Stundenkilometer, wenn man sie entdrosselt«, antwortete Eve. Sie musste gegen den Wind anschreien. »Doch für die hiesigen Geländeverhältnisse ist die jetzige Geschwindigkeit mehr als angemessen.«
    Auch damit hatte sie Recht; es gab kaum eine Möglichkeit, lange Strecken geradeaus zu fliegen. Hügelige, teilweise kultivierte Ebenen wurden von schwer zugänglichen Waldstücken unterbrochen, die man auf schmalen Trampelpfaden im quälendem Kriechtempo queren musste. Bei einer maximalen Gleithöhe von zwei Metern war es ihm leider nicht möglich, über die Wälder hinweg zu fliegen.
    Das X-Quad machte Rulfan schlicht und einfach Spaß.
    Diese für ihn neue Art der Fortbewegung erzeugte ein besonderes Gefühl des Losgelöstseins und ein merkwürdiges Kribbeln im Magen.
    Es war in seinen späten Jugendtagen in Salisbury gewesen, als er heimlich einen Datenträger über private Fortbewegungsmittel des einundzwanzigsten Jahrhunderts studiert hatte. Zwei- und Dreiräder waren abgebildet gewesen, deren Benutzer nicht viel anders ausgesehen hatten als Paazival und seine Biglords. Mit einer Artistik, die ihm damals unglaublich erschienen war, hatten sie diese… Motorräder zwischen endlosen Schlangen von Automobilen hindurch bewegt.
    Waren sich diese Männer und Frauen ihres Glücks bewusst gewesen? Dass sie das Recht und die Freiheit gehabt hatten, sich ungezwungen übers
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