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128 - Der Schläfer

128 - Der Schläfer

Titel: 128 - Der Schläfer
Autoren: Michael M. Thurner
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in Zentralasien eingeschlagen war.
    Bewusst atmete Rulfan drei Mal tief durch, öffnete und schloss mehrmals die Augen und zwang sich dazu, den verkrampften Körper zu entspannen. Endlich ließen die Schmerzen nach, die von einem Punkt in Magennähe nach außen zu drängen schienen.
    War dies nun die Realität? Buchenwälder umgaben ihn, dazu scheinbar undurchdringliche Gestrüpplandschaft, die sich nur dem geübten Auge als ehemals schmaler Straßenzug mit umgestürzten Häuserfronten offenbarte.
    Ja. Dies war die Welt, in die er hineingeboren worden war und die er seit mehreren Jahrzehnten durchwanderte. Und dennoch blieb ein letzter Rest des Zweifels. Denn hatte er nicht sogar im Traum gedacht, dass er sich in der Realität befände?
    Rulfan wischte kalten Schweiß von seiner Stirn und fächelte sich mit den Händen Luft zu.
    Ein Rascheln.
    Er griff zur Waffe, zog sie mit geübter Bewegung aus dem Lederholster, ging in die Knie und blickte höchst konzentriert in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte.
    Instinktiv tastete seine Linke umher, suchte etwas… und fand nichts. Wulf, sein treuer Begleiter, war nicht bei ihm. Er war… woanders.
    »Rulfan?«, tönte eine Stimme.
    Ein leises, weibliches Organ, das er nur zu gut kannte.
    Erleichtert steckte er die Waffe weg und stand erneut auf.
    Schwankend und unsicher, aber beruhigt. »Ich bin hier – zwischen den Ruinen!«, rief er Eve zu.
    Das Rascheln kam näher. Ein Knacken, ein Fluch, durchaus nicht damenhaft, und dann schob sich der Körper der großen Frau aus dem Gehölz. Mit weiten, ausholenden Schritten kam sie auf ihn zu, aufmerksam in alle Richtungen sichernd. »Bist du in Ordnung?«, fragte sie und lächelte ihn knapp an.
    Eve Neuf-Deville. Seine Begleiterin – und seine Bewacherin. Ihm zugeteilt auf Wunsch seines Vaters. Nach den wechselvollen letzten Monaten – den Abenteuern in Coellen und Cornwall sowie der Auseinandersetzung mit König Arfaar und dem Zwischenfall in Aachen – war seine Psyche beinahe gekippt. Selbstzweifel nagten nach wie vor an ihm. Denn Rulfan hatte nicht immer nur Erfolge zu verzeichnen gehabt.
    Eve war ausgebildet für langfristige Außenwelt-Einsätze.
    Zudem galt sie als Spezialistin für Handfeuerwaffen, war eine hochgeschätzte Psychotherapeutin und mit einem gesunden Hausverstand gerüstet für diese neue Welt. Sie war mit irgendeinem Ex-Octavian der Community von London verwandt – doch waren sie das denn nicht alle?
    »Es ist schön, dich jederzeit um mich zu wissen«, sagte Rulfan.
    »Was war los?«, fragte sie, ohne näher auf den zynischen Unterton einzugehen. »Ich hörte deinen Schrei.«
    »Ein Albtraum«, antwortete der Albino knapp. »Nach dem Bad habe ich ein Nickerchen gemacht und offenbar schlecht geträumt.« Rulfan deutete mit einer offenen Handbewegung auf seine Liegestatt vor den Resten einer Steinmauer. Im Gestrüpp dahinter erahnte man das Murmeln eines kleinen Gewässers.
    »Du bist wahnsinnig!«, antwortete Eve mit zusammengepressten Lippen. Das Runzeln ihrer Stirn war zwar bezaubernd, doch auch beunruhigend. »Dies ist Terra Incognita, von Barbaren und unbekanntem Tierzeugs verseucht – und du badest! Wir haben uns Sorgen gemacht! Wir haben dich gesucht, Mann!« Ihre blauen Augen versprühten Zornesblitze.
    »Nun – ihr habt mich gefunden«, entgegnete Rulfan kühl und selbstbewusst. Er unterdrückte sein schlechtes Gewissen und gab sich äußerlich gelassen. Doch er befürchtete, dass ihn Eve ohne Probleme durchschaute. Denn er hatte tatsächlich Mist gebaut. Man entfernte sich nicht einfach von seinen Leuten, um eine Runde zu schwimmen. Schon gar nicht, wenn man die Befehlsgewalt hatte.
    »Ich weiß, dass es ein Fehler war, und es tut mir Leid«, sagte Rulfan. »Aber der ganze unnütze militärische Mist hängt mir wirklich zum Halse heraus.« Er mimte Niedergeschlagenheit, die er eigentlich gar nicht empfand. Im Gegenteil. Das Bad hatte ihm gut getan. Wenn bloß dieser Albtraum nicht gewesen wäre…
    »Diesen ›unnützen Mist‹ nennt man Disziplin, Rulfan«, entgegnete Eve kühl. Sie zündete sich eine Zigarette an und atmete den Rauch tief ein; ein besonderes Privileg, das nur wenige Bunkerbewohner genossen. »Salisbury als kleine, in sich geschlossene Gesellschaft hätte ohne eine straffe militärische Ordnung nicht fünfhundert Jahre lang überlebt.«
    »Hast du dich denn nie gefragt, warum ich die Community verlassen habe?« Geistesabwesend band sich Rulfan die Haare zu einem
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